Good Girls
Rückwärtsgang ein. Wenn der Gang drin ist, gehst du mit dem Fuß langsam wieder vom Pedal runter. Gut. Fahr langsam zurück. Ja, genau so. Dreh das Lenkrad ganz nach links. Nach links! LINKS!«
Mom hatte versprochen, mit mir zu fahren, doch dann hat sie es sich im letzten Moment noch mal anders überlegt. Ich weiß genau, was sie vorhat. Seit der Sache mit dem Foto ist mein Verhältnis zu Dad ziemlich angespannt und wir reden kaum noch miteinander. Sie will uns wieder zusammenbringen. Vielleicht hätte sie sich lieber etwas anderes ausgesucht. Etwas mit weniger technischen Geräten und Geschrei.
»Nicht! Du wirst noch die Kupplung ruinieren!«
»Entschuldigung! Ich fahre deinen Wagen seit genau neunzig Sekunden, okay?« Ich fummle am Ganghebel und versuche es noch einmal.
»Du fährst seit fünf Jahren in diesem Wagen mit«, sagt er. »Willst du mir allen Ernstes sagen, dass du nie darauf geachtet hast, wie der Motor klingt? Hast du nie aufgepasst, was ich beim Fahren gemacht habe? Was haben sie dir eigentlich in der Fahrschule beigebracht, häh? Ich dachte immer, du wärst technisch begabt.«
Der Wagen stottert, bleibt stehen, stirbt ab.
»Audrey!«
Ich spare mir die Mühe, den Wagen wieder anzulassen. »Dad, können wir nicht mit Moms Auto fahren? Dann ruiniere ich dir nicht die Kupplung und du kriegst vom Schreien keinen Herzinfarkt.«
»Ich schreie doch gar nicht.«
»Natürlich schreist du.«
»Ich habe nur etwas lauter gesprochen. Trotzdem musst du wissen, wie man ein Auto mit Gangschaltung fährt. Was machst du denn, wenn du bei jemandemim Auto mitfährst und ihm geht’s plötzlich schlecht?«
»Dann rufe ich einen Krankenwagen.«
»Nein, nicht so schlecht. Aber so schlecht, dass er nicht mehr fahren kann und du ans Steuer musst.«
Jetzt weiß ich, was er meint. »Du meinst betrunken, hab ich recht? Was, wenn ich mit jemandem fahre, der voll ist, und ich muss ihn heimfahren?«
»Nun, ja. Das kann schon mal vorkommen.«
»Ich weiß, Dad.«
Er klappt das Handschuhfach auf, nimmt ein Taschentuch heraus und beginnt, die Mittelkonsole sauberzumachen. »Ich muss dich ja hoffentlich nicht daran erinnern, wie gefährlich es ist, betrunken Auto zu fahren, Audrey.«
»Nein, musst du nicht.«
»Dabei kannst du ums Leben kommen oder dein Leben lang behindert sein. Oder du kannst jemanden anderen verletzen.«
»Dad, das weiß ich doch.«
»Wenn ich dich jemals am Steuer erwische, wenn du etwas getrunken hast, verfrachte ich dich höchstpersönlich ins Gefängnis.«
»Vielen Dank für dein Vertrauen«, sage ich.
»So meine ich das nicht«, sagt er. »Ich will dich doch nur daran erinnern, wie gefährlich es ist, Auto zu fahren, wenn man etwas getrunken hat. Das ist alles. Es ist nicht so, dass ich dir nicht vertraue.«
Natürlich ist es so, aber ich nicke trotzdem. Das ist mein Job. Nicken.
»Ich weiß, dass Schüler manchmal Dummheiten machen, besonders im letzten Schuljahr. Ihre Eltern fahren übers Wochenende weg, irgendjemand veranstaltet eine Party, jemand kommt auf die Idee, die Hausbar zu plündern. Und die Dinge geraten außer Kontrolle.«
»Falls es dir entgangen sein sollte: Ich war schon lange auf keiner Party mehr«, sage ich.
»Ja, schon. Aber vielleicht gehst du ja mal wieder auf eine. Im Frühjahr. Nach den Prüfungen.«
Ich nicke wieder.
»Du hast so eine große Zukunft vor dir«, sagt er.
Nicht wenn ich gegen einen Laternenpfahl fahre.
Er hört auf, das Armaturenbrett zu polieren, und faltet das Taschentuch wieder zusammen. »Ich will nicht, dass dir etwas passiert.«
»Ich auch nicht.«
»Wirst du ab jetzt vorsichtig sein?«, sagt er.
Ich muss nicht fragen, was er meint. »Ja, Dad. Ich werde immer vorsichtig sein.«
Jetzt nickt er . »Gut. Dann versuchen wir es noch einmal.«
Januar. Wir stehen die letzte Unterrichtswoche und die Abschlussprüfungen durch. Danach bekommen wir einen neuen Stundenplan. Endlich bin ich Chilly los. Hoffentlich für den Rest meines Lebens. Die Aussicht, nicht mehr neben diesem Eiskühlersitzen zu müssen, tröstet mich ein wenig über die kurzen, dunklen Tage und die langen, kalten Nächte hinweg. Ein kleiner Lichtblick, wie ein unerwartetes Geschenk.
Ash hat auch ein Geschenk für mich: ein Exemplar der Winterausgabe von EbbeFlut , dem Literaturmagazin der Schülerzeitung. (Sie hat aufgegeben und die Nummer »Tentakel« genannt. Sie kommt großartig an.) Pam und Cindy bekommen ebenfalls ein Exemplar und lesen sich die besten Gedichte
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