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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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aber sie muss es sich gedacht haben. Wenn wir irgendeinen Arbeitsschritt
nicht absolut perfekt erledigt hatten, mussten wir noch einmal von vorne anfangen. Und wenn eine Lieferung fällig war, kam sie bereits Tage vorher zu uns und lag uns in den Ohren damit, dass wir alles rechtzeitig fertig bekommen mussten.
    »Wenn diese Lieferung euretwegen zu spät rausgeht, garantiere ich für nichts«, sagte sie eines Tages.
    »Wir haben immer alles rechtzeitig fertig bekommen«, antwortete Mama ruhig, aber ich sah den Kummer in ihren Augen, weil ihre Schwester uns so behandelte.
    Tante Paula zwängte sich an Matt und seiner Dampfbügelmaschine vorbei und war verschwunden.
    Er kam sofort zu mir herüber. Seine Haare waren klatschnass vom Dampf und standen stachelig in alle Richtungen ab. »Was hat die denn für ein Problem?«
    »Neid«, antwortete ich.
    »Warum?«
    »Ich glaube, weil ich besser in der Schule bin als ihr Sohn.«
    Matt nickte und wollte sich schon wieder umdrehen und zu seiner Arbeit zurückkehren.
    Um ihn noch einen kurzen Moment dazubehalten, fragte ich: »Wo sind deine Mutter und Park? Man sieht sie kaum noch in der Fabrik.«
    »Mama geht’s in letzter Zeit nicht so gut, und wenn sie zu Hause bleibt, behält sie Park bei sich. Ich kann jetzt alleine für meine Familie sorgen.« Er war sichtlich stolz darauf, der Ernährer zu sein.
    Seine Nähe versetzte meinem Herzen immer noch einen Stich. »Du schlägst dich wirklich tapfer, Matt.«
    Er sah mich lange an und sagte dann: »Ich vermisse dich.«
    Mir schoss die Hitze ins Gesicht. Damit er meine plötzliche Gefühlsaufwallung nicht mitbekam, drehte ich mich weg.
»Du hast doch Vivian.« Als ich wieder aufblickte, war er verschwunden.
     
    Manchmal erzählte mir Curt Geschichten, die mir bewusst machten, wie unterschiedlich wir waren. Einmal sprach er von einem Essen mit Freunden in einem italienischen Restaurant.
    »Wir haben ewig gewartet, aber dieser arrogante Kellner kam und kam nicht mit der Rechnung, also sind wir einfach gegangen. In der Tür habe ich mich noch mal umgedreht: Du hättest sein Gesicht sehen sollen! Als ob er unsere Rechnung aus eigener Tasche bezahlen müsste.«
    »Muss er wahrscheinlich auch«, erwiderte ich.
    »Echt? Na ja, geschieht ihm ganz recht.« Curt wirkte ein wenig betreten.
    Ich sagte nichts mehr dazu, aber ich dachte an die Väter und Brüder der Fabrikkinder, die »an Tischen standen«, wie wir es nannten, also als Kellner arbeiteten. Wie hätten sie reagiert, wenn sie so ein teures Essen von ihrem Trinkgeld hätten bezahlen müssen? Viele bekamen außer Trinkgeld überhaupt keine Bezahlung. Matt hätte so etwas nie getan. Aber Curt hatte eben keine Ahnung, wie es war, wenn man zur Arbeiterklasse gehörte.
    Aber manchmal war er auch überraschend lieb.
    Einmal saß ich mit ihm im Kunstraum, als er plötzlich sagte: »Letztes Wochenende war ich auf dem Schrottplatz. Da findet man die erstaunlichsten Sachen. Ich hab dir was mitgebracht.«
    Ich dachte an unsere Wohnung. »Ich, äh, hab eigentlich schon genug Schrott zu Hause.«
    Curt griff in eine Mülltüte und zog das Skelett eines Regenschirms heraus. Er hatte Stützstreben eingefügt und die
Metallsprossen so gezwirbelt und verbogen, dass der Schirm wie eine Blume aussah. Die silberfarbenen Metallteile glänzten wie poliert.
    »Das ist wunderschön«, sagte ich und strich über ein eingeflochtenes Blütenblatt.
    Er hob eine Augenbraue. »Ich versichere dir, dass das Ding garantiert nie viel Geld wert sein wird, du kannst es also ruhig annehmen.«
    »Das ist von jetzt an mein liebstes Stück Schrott.«
     
    Der Einbürgerungstest fand Mitte Januar statt. Ich war zu Hause und lernte, als es plötzlich an der Wohnungstür klopfte. Die wuchtige Haustür im Erdgeschoss schloss in letzter Zeit nicht mehr richtig, und an diesem Tag hatte ich es eilig gehabt und war vermutlich die Treppe hochgestürmt, ohne sie ins Schloss zu ziehen. Mama war vor kurzem erneut durch den Einbürgerungstest gefallen, aber ich war ja jetzt achtzehn und konnte ihn selbst ablegen. Ich ging zwar davon aus, dass ich mit Leichtigkeit bestand, wollte aber in letzter Minute noch ein wenig büffeln, bevor ich zur Einbürgerungsbehörde ging.
    Als ich aufmachte, stand Annette vor der Tür, in Holzfällerjacke und Entenjägerstiefeln. Über meine Schulter hinweg starrte sie auf die rissigen Wände und den offenen Backofen. Dann fiel ihr Blick auf meine Weste aus Plüschtierstoff. Ihr Mund klappte auf, und sie

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