Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
Mieter vertrauenswürdig sind. Sie verlangen eine Kaution und die Vorlage bestimmter Papiere. Wir brauchen einen Gehaltsstreifen oder einen Beschäftigungsnachweis und eine persönliche Empfehlung.«
Meine Gedanken rasten. Mama und ich hatten zum ersten Mal ein wenig finanziellen Spielraum, vor allem dank der Überstunden, die ich in der Bibliothek machte. Wenn die Vermieter uns genügend Zeit ließen, konnten wir die Kaution schon zusammenkratzen. Aber woher sollten wir die persönliche Empfehlung nehmen?
Als könnte sie Gedanken lesen, sagte Mrs Avery: »Vielleicht könnte euch einer deiner Lehrer eine persönliche Empfehlung schreiben?«
»Aber meine Lehrer haben meine Mutter noch nie gesehen.«
»Auch wieder wahr. Ich denke darüber nach. Wir finden sicher eine Lösung.«
»Wir haben zwar ein bisschen Geld auf dem Konto, aber es wäre trotzdem besser, wenn wir noch ein paar Wochen Zeit
hätten, um die Kaution zusammenzusparen. Außerdem ist der Gehaltsstreifen meiner Mutter mehr als mickrig.«
»Das macht nichts. Die Vermieter wollen nur wissen, dass deine Mutter arbeitsfähig ist. Vielleicht könntest du auch noch den Gehaltsnachweis von deinem Job in der Schule beilegen. Wenn sie an eurem Empfehlungsschreiben sehen, dass ihr vertrauenswürdige Leute seid, reicht ihnen das.«
»Kann uns noch jemand die Wohnung wegschnappen?«
»Ich spreche mit den Eigentümern und sage ihnen, dass ich eine sehr vertrauenswürdige Interessentin im Auge habe.«
»Und ich gebe Ihnen die Gehaltsnachweise und die restlichen Papiere so schnell wie möglich, damit die Eigentümer wissen, dass wir es ernst meinen.«
Als ich Mama am Abend von dem Gespräch erzählte, strahlte sie übers ganze Gesicht. »Ah- Kim, eine neue Wohnung!«
Wir waren so lange in unserer alten Wohnung gefangen gewesen, dass wir nicht mehr zu träumen gewagt hatten, ihr je zu entfliehen. Ob die Flucht gelang, hing nun ganz von Mamas persönlichem Empfehlungsschreiben ab.
Es war März, und Curt und ich hielten inzwischen auch in aller Öffentlichkeit Händchen. Bei ihm fühlte ich mich sicher, weil ich wusste, dass er nicht mehr verlangte, als ich zu geben bereit war. Keine Ahnung, wie es zwischen uns weitergegangen wäre, wenn sich die Ereignisse nicht plötzlich überschlagen hätten. Wären wir den Weg der Liebe Schritt für Schritt weitergegangen oder hätten zumindest so getan?
Wir verließen gerade zusammen Milton Hall. Curt hatte mir einen Füller geklaut, den ich ihm wieder abzunehmen versuchte, indem ich seinen Arm packte und ihm spielerisch auf die Schulter schlug. Dann sah ich eine hochgewachsene
Gestalt vor den Sträuchern stehen, die das Hauptgebäude säumten.
»Matt.« Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was er hier vor meiner Schule machte und was er wollte. Er war genauso ärmlich gekleidet wie immer, in Arbeiterhosen und einer dünnen, zerknitterten Jacke, aber die vorbeigehenden Mädchen drehten sich trotzdem nach ihm um. Stolz wie ein junger Drache stand er vor dem Eingang.
Inzwischen hatte er uns entdeckt, und der Schock in seinen Augen wurde rasch von Schmerz und Eifersucht in den Hintergrund gedrängt. Er schüttelte den Kopf, als hätte er nicht richtig gesehen, und ging dann, so schnell er konnte, davon. Zuerst hatte ich ein schlechtes Gewissen, aber dann kroch die Wut in mir hoch. Schließlich wusste ich selbst nur allzu gut, wie sich diese stechende Eifersucht anfühlte, hatte ich sie doch Tag für Tag gespürt.
Curt war ebenfalls wie angewurzelt stehen geblieben. »Jetzt wird mir alles klar.«
»Ich muss gehen«, sagte ich und rannte hinter Matt her, ohne mich noch einmal umzudrehen.
Es regnete, und ich rutschte beinahe auf dem glitschigen Gehweg aus. Durch die Regenschleier sah ich Matt nur als verschwommene Silhouette in der Ferne, aber dann wurde er plötzlich immer größer. Er hatte kehrtgemacht und kam nun auf mich zu.
Auf einmal lagen seine Hände auf meinen Ellbogen, und er packte mich heftig. »Ist das dein Freund?«, brüllte er.
»Und was ist mit deiner Freundin?«, rief ich zurück. Meine Haare und mein Gesicht trieften vor Nässe.
Er rührte sich nicht mehr, schien in sich zusammenzufallen. Dann ließ er mich los. »Ich weiß. Tut mir leid. Ich bin halt nicht der Schlauste.«
Jetzt erst merkte ich, dass sein Gesicht nicht nur vom Regen nass war. Seine Augen waren geschwollen und blutunterlaufen. Er hatte geweint.
»Ist Schluss zwischen dir und Vivian?«, fragte ich ein wenig
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