Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
und in meinem Mund landete. Auf das Brennen war ich vorbereitet. Ich behielt den Rauch in der Lunge und reichte die Pfeife an Curt weiter.
Er lachte. »Du bist ja ein Naturtalent. Du solltest das Schlausein aufgeben und stattdessen Kiffer werden, so wie ich.«
Die Pfeife ging mehrere Male herum, und ich rauchte, bis ich das Gefühl hatte, die Erinnerung an Matt zusammen mit dem Rauch in weite Ferne gepustet zu haben. Ich ließ mich nach hinten auf den Boden sinken, in meinem Kopf drehte sich alles. Ich hatte keine Ahnung, wo die anderen hingegangen waren, aber vielleicht waren sie auch noch da. Das Kratzen des Teppichs an meinem Hinterkopf fühlte sich sehr angenehm an.
»Nur ein Kuss im bekifften Zustand ist ein richtiger Kuss«, sagte Curt.
»Na gut«, antwortete ich, obwohl ich es eigentlich schon genoss, einfach nur den Kopf auf dem Teppich hin- und herzudrehen.
Langsam beugte sich Curt über mich und umfasste meinen Kopf mit seinen großen Händen. Ich spürte, wie seine Haare mein Gesicht streiften. Statt mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen zu geben, wie ich es erwartet hatte, küsste er meinen Hals, die zarten Stellen unterm Kinn und hinter dem Ohr. Meine Welt war angefüllt mit der Berührung seines Mundes, dem Duft seiner Haare. Er begann, sanft an meinem Ohrläppchen zu saugen.
»Mmmmmm«, murmelte ich. »Fällt das wirklich noch unter ›küssen‹?«
Als Antwort küsste er mich direkt auf die Lippen, ganz langsam, als wollte er jede Sekunde voll auskosten. Sein Kuss war weich und satt. Wie ein Schmetterling flatterte er gegen die geschlossene Tür meines Herzens und war dann still.
Im Laufe der Jahre war Onkel Bobs Bein immer schlimmer geworden, und wir bekamen ihn nur noch selten in der Fabrik zu sehen. Tante Paula hatte die meisten seiner Pflichten übernommen, erzählte aber allen, er arbeite von zu Hause aus, damit er nicht das Gesicht verlor. Schließlich war es für Männer wichtig, offiziell als Ernährer dazustehen. In der Fabrik war Onkel Bobs Büro jedoch längst zu Tante Paulas Büro geworden.
Unsere gesamte Post ging immer noch durch ihre Hände, da wir auch an der Harrison School unsere offizielle Adresse angegeben hatten. Als sie mir zum ersten Mal meine Prüfungsergebnisse brachte, wusste ich, dass sie auf eine niedrige Punktzahl hoffte.
»Clever wie du bist, hast du bestimmt gut abgeschnitten«, sagte sie mit geheuchelter Liebenswürdigkeit. »Warum machst du den Umschlag nicht auf?«
Zum Glück war Mama gerade auf der Toilette, so dass ich sagen konnte: »Ich möchte auf Mama warten. Ich mache ihn später auf.«
Obwohl auch ich darauf brannte, den Umschlag zu öffnen, drehte ich mich um und machte mich an ein paar Blusen zu schaffen, bis Tante Paula widerwillig gegangen war. Als Mama endlich zurück war, riss ich den Umschlag auf und zog das dünne Blatt Papier heraus.
»Also? Wie viele Punkte hast du?«, fragte Mama.
Eigenartigerweise konnte ich mein Ergebnis nirgendwo entdecken. Ich hielt das kleine quadratische Blatt Papier ans Licht. »Ich weiß nicht. Da muss ein Fehler passiert sein. Hier steht nur die höchstmögliche Punktzahl, die man bei diesem Test bekommen kann.«
Plötzlich ertönte Tante Paulas Stimme, sie musste Mama gefolgt sein. »Das ist doch lächerlich! Gib mir das mal.«
Sie grapschte mir das Blatt Papier aus der Hand und starrte darauf. Langsam breitete sich ein roter Ausschlag auf ihrem Hals aus. »Du Dummchen, das IST dein Testergebnis!«
»Oh.« Ich nahm den Brief wieder entgegen. Langsam dämmerte mir, dass ich bei dem Test tatsächlich die volle Punktzahl erhalten hatte. Ich hatte mein Ergebnis nur deshalb nicht gefunden, weil es dieselbe Zahl war.
Ich war immer noch verwirrt und sagte, ohne nachzudenken: »Tut mir leid, dass du meinetwegen rote Augen hast, Tante Paula.«
Tante Paula und Mama schnappten nach Luft.
»Wie bitte?« Tante Paula stieß ein schrilles Lachen aus. »Warum sollte ich eifersüchtig sein, weil meine Nichte gut in der Schule ist? Für was für einen Menschen hältst du mich eigentlich?«
»Nein, das meinte ich nicht. Ich, äh …« Ich hatte mir einen solchen Schnitzer geleistet, dass sich mein Gesicht vor Scham ganz taub anfühlte.
»Du verrücktes Mädchen! Ich bin stolz auf dich!« Sie legte ihren Arm so fest um meine Schultern, dass es wehtat.
»Wir sind beide stolz«, sagte Mama mit glänzenden Augen.
12
I n der zwölften Klasse verbrachten Curt und ich immer mehr Zeit miteinander. Viel mehr Zeit. Es
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