Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
Glück bringt, wenn man Porzellan zerschlägt. Damit du am College angenommen wirst.«
Ich war nicht abergläubisch, aber ich zerschlug die Teller trotzdem. Wenn ich es nicht auf ein College schaffte, das den finanziellen Hintergrund seiner Bewerber außer Acht ließ und sie allein nach Leistung beurteilte, dann konnte ich eben überhaupt nicht studieren. Wir konnten uns nicht mal eine staatliche Uni leisten.
Meine Sorge wuchs, als ich hörte, was meine Mitschüler in ihre Bewerbungen schrieben. Julia Williams’ Eltern hatten für sie einen Steinway-Flügel in einem schalldichten Raum aufgestellt, in dem Julia fünf Stunden pro Tag übte. Sie nahm an internationalen Klavierwettbewerben teil, seit sie sechzehn war. Chelsea Brown sang im Kinderchor der Metropolitan Opera.
Die Sportler waren eine Gruppe für sich. Ein Junge mit dem Spitznamen »Speedy Spenser« gewann mit seinen langen Spinnenbeinen jedes Rennen, und die Hockeymannschaft von Harrison war Bezirksmeister. Alicia Collins qualifizierte sich im Turnen für die Jugendolympiade. Einmal forderten ein paar Footballspieler sie heraus, und da warf sie sich neben ihnen auf den Boden und machte einarmige Liegestütze, bis die Jungs vor Erschöpfung zusammenbrachen. Die Sportler nahmen ihre jeweilige Disziplin genauso ernst wie ich meine.
Die meisten meiner Mitschüler gingen irgendeinem Hobby nach und nahmen Tanz- oder Geigenunterricht, seit sie sieben waren. Wenn ihre Noten bei den Zentralklausuren zu
wünschen übrigließen, bekamen sie private Nachhilfestunden. In ihren Bewerbungsaufsätzen fürs College konnten sie darüber schreiben, wie sie in Italien bei der Traubenlese geholfen, Holland per Fahrrad erkundet oder zeichnend im Louvre gesessen hatten. Oft waren schon ihre Eltern auf das College gegangen, für das sie sich bewarben.
Was hatte ich da schon für Chancen? Ich war nur ein armes Mädchen, dessen größte praktische Begabung darin bestand, Röcke überdurchschnittlich schnell in Tüten zu verpacken. Dr. Westons Vertrauen in mich machte mir ein wenig Hoffnung, aber nicht viel. Ich war zwar gut in der Schule, aber das waren viele andere Schüler auch, und von denen waren die meisten seit ihrer Geburt auf das richtige College vorbereitet worden. Egal wie gut ich in meinen Wahlfächern abschnitt oder wie überzeugend ich so tat, als würde ich zum erlauchten Kreis der Harrison-Schüler gehören, wusste ich doch genau, dass ich keine von ihnen war. Und ich hatte insgeheim die Befürchtung, dass die Colleges das spürten und mich von vorneherein ausschlossen.
Mr Jamali fand, dass Annette genügend Fortschritte gemacht hatte, um Emily, die Hauptrolle in Unsere kleine Stadt, zu spielen.
»Ich glaub’s nicht!« Annette wollte gar nicht mehr aufhören, vor mir auf der Stelle zu hüpfen. »Du musst unbedingt zur Premiere kommen und dir das Stück ansehen!«
»Auf jeden Fall!« Ich griff nach ihrer Hand.
»Schwörst du’s?«
»Ich schwör’s. Komme, was wolle, ich werde da sein.«
Aber als sie mir später das Premierendatum mitteilte und ich in meinem Terminkalender nachsah, stellte ich fest, dass es ein Problem gab.
Ich erzählte es ihr beim Essen: »Annette, ich habe meinen Einbürgerungstest an dem Nachmittag.«
Sie biss sich auf die Lippe. »Nein! Aber du hast es versprochen!«
»Ich weiß. Es tut mir ja auch leid, aber ich kann es nicht ändern. Wenn ich die amerikanische Staatsbürgerschaft nicht bekomme, habe ich keinen Anspruch auf Studienfinanzierung.«
»Warum kannst du den Test nicht an einem anderen Tag machen?«
»Das ist der erste mögliche Termin nach meinem achtzehnten Geburtstag. Früher geht also nicht. Und wenn ich ihn später mache, kann ich auf dem Antragsformular für Finanzierungshilfe nicht angeben, dass ich Amerikanerin bin. Ich schaue mir dein Stück gleich bei der nächsten Aufführung an.«
»Ich weiß.« Annette machte immer noch ein niedergeschlagenes Gesicht.
»Was hast du?«
Sie sah mir in die Augen. »Kimberly, wenn es wirklich stimmt, bin ich dir nicht böse. Oder ist das wieder nur eine deiner Ausreden?«
Ich hatte ihr im Laufe der Jahre so viele Notlügen erzählt, dass ich ihr die Zweifel nicht übelnehmen konnte. »Natürlich stimmt es.«
Annette beließ es dabei.
Jedes Mal wenn mir Tante Paula Prüfungsergebnisse vorbeibrachte, kam sie einen oder zwei Tage später wieder und beschwerte sich über unsere Arbeit. Wir achteten zwar darauf, dass sie nicht mitbekam, wie gut meine Noten waren,
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