Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
und vermied es, Matt anzusehen.
»Ich habe vollstes Vertrauen, dass ihr beide keine Dummheiten macht. Aber komm nicht zu spät nach Hause, Kimberly.«
Ich konnte nicht glauben, dass ich tatsächlich ein Rendezvous mit Matt hatte und Mama nicht einmal anlügen musste. Sobald wir auf der Straße waren, küsste mich Matt. Die Jugendlichen aus dem Viertel johlten.
Als er sich von mir löste, waren seine Augen dunkel. »Du hast eine so starke Wirkung auf mich, dass ich das Gefühl habe, auf einer schwindelerregenden Welle dahinzureiten.«
Ich seufzte und legte meine Wange an seine Schulter.
Auf der Fahrt nach Chinatown klärte ich ihn in groben Zügen über den Streit mit Tante Paula und die neue Wohnung auf. Meine Annahme in Yale ließ ich absichtlich unerwähnt, weil ich damit warten wollte, bis wir an einem ruhigeren Ort zusammensaßen.
Das Restaurant war brechend voll, und sämtliche Gäste waren Chinesen. Damals hatten die Touristen die besten chinesischen Lokale noch nicht entdeckt, und wenn sich doch einmal ein Weißer hereinverirrte, rief der Kellner »Roter Bart, blaue Augen!« in die Küche, damit der Koch das Essen an den westlichen Geschmack anpassen konnte.
Wir standen in einer langen Schlange mit Leuten, die auf ihr Essen warteten. Neben uns verlief eine Theke, an der man sein Essen zum Mitnehmen bestellen konnte. Dahinter waren mehrere Kellnerinnen nur damit beschäftigt, die Bestellungen in Plastikbehälter und Tüten zu verpacken.
»Ah -Matt, was versteckst du dich hier?« Ein kleiner Kellner mit lichter werdendem Haar tauchte plötzlich neben Matts Ellbogen auf und strahlte uns an. »Raus aus der Schlange, folgt mir!«
Er ignorierte die bösen Blicke der anderen Gäste und führte uns zu einem kleinen Tisch am Ende des Restaurants. Dort wurde Matt von einem weiteren Kellner mit Namen begrüßt, der sich beeilte, das benutzte Geschirr abzuräumen.
Matt grinste und bedankte sich bei dem Kellner, der uns hergebracht hatte: »Danke, ah- Ho. He, ah -Gong, dass du mir ja keine Teller kaputthaust!«
Unserem Kellner war bestimmt nicht entgangen, dass ich nicht Vivian war, aber er war zu höflich, etwas dazu zu sagen. Unsere Schalen mit Wan-Tan-Suppe waren groß und bis oben hin angefüllt mit selbst gemachten Nudeln und zarten Fleischpasteten.
Ich schöpfte mit dem Löffel ein paar Frühlingszwiebeln ab, die auf der Suppe schwammen, und schob sie mir in den Mund. »Ich habe ewig keine Wan-Tan-Suppe mehr gegessen.«
»Das ist die beste in ganz Chinatown«, sagte Matt.
»Kommst du oft hierher?« Ich konnte nicht umhin, mir vorzustellen, wie er jeden Abend mit Vivian in diesem Restaurant saß.
»Nein, essen tue ich hier so gut wie nie. Ich kenne die Kellner nur, weil ich hier früher als Tellerwäscher gearbeitet habe.«
»Wann war das?«
»Ist schon eine Weile her. Ich wollte außerhalb der Fabrikzeiten ein bisschen was dazuverdienen.«
»Warum hast du nicht an den Tischen gestanden?«
»Weil ich dafür noch zu jung aussah. Und dann habe ich den Botenjob beim Italiener ergattert.«
Ich entdeckte mein Spiegelbild in einem gold gesprenkelten Spiegel hinter Matt. Mein Gesicht strahlte vor Glück. Ich konnte nicht fassen, dass ich hier mit Matt zusammensaß und zuhörte, wie er mir aus seinem Leben erzählte, dass er wirklich zu mir gehörte. Ich blickte auf seine Hand, die vor mir auf dem Tisch lag: eine kantige Hand mit roten Fingerknöcheln, eine Arbeiterhand, das Schönste, was ich je gesehen hatte. Ich nahm sie in beide Hände und legte sie an meine Wange.
Er schloss einen Moment die Augen. »Manchmal war ich mit … jedenfalls nicht mit dir … zusammen und habe plötzlich dein Gesicht vor mir gesehen oder mich an etwas erinnert, das du gesagt hast. Aber ich dachte immer, du magst mich nicht, jedenfalls nicht so. Du warst so distanziert und bist auf diese noble Privatschule gegangen. Ich wusste, dass du es mal weit bringst. Du warst nicht bloß so ein dummes Fabrikkind wie ich.«
»Hast du dich deshalb für Vivian entschieden?«
»Ich wusste gar nicht, dass du zur Wahl stehst, sonst hätte ich mich sicher für dich entschieden. Viv war total von mir abhängig. Bei dir konnte ich mir nicht vorstellen, dass du irgendjemanden brauchst.«
Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich zwang mich, es auszusprechen: »Ich brauche dich auch.«
Seine Augen, die der viele Kummer in letzter Zeit getrübt hatte, hellten sich auf. »Wirklich?«
»Wenn ich mit dir zusammen bin, könnte ich Wasser trinken
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