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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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heraus. »Das erlaube ich nicht!«
    Ich ignorierte sie und öffnete den zweiten Umschlag. Er enthielt die Unterlagen zur Studienfinanzierung. Yale hatte mir ein Vollstipendium gewährt.
    Ich presste beide Umschläge an mich, und meine Wangen brannten, als hätte ich Fieber. »Mama!«
    Sie hatte die Hände vor den Mund geschlagen und versuchte, sich gleichzeitig das Lachen und die Freudentränen zu verkneifen. Dann stand sie auf und nahm mich in die Arme, während ich vor lauter Aufregung auf der Stelle hüpfte.
    Mama drückte mich fest. »Du hast es geschafft! Ich habe immer gesagt, dass du etwas Besonderes bist.«
    »Bei dieser Zurschaustellung von Sentimentalitäten wird einem ja das Fleisch taub.« Tante Paulas Stimme holte uns in die Realität zurück. Sie fand es peinlich, wie wir uns aufführten.
    Mama ließ mich los und drehte sich zu ihr um. »Ah- Kim hat das Recht, sich ihr College frei auszusuchen. Das hat sie sich redlich verdient.«
    Tante Paula wirkte verblüfft. Dann sagte sie: »Eure Herzen haben keine Wurzeln.« Sie hielt uns für undankbar. Zu meiner Verwunderung begann sie zu schluchzen. »Ich habe mich zum herrenlosen Tier gemacht, um für uns alle den Weg nach Amerika zu ebnen.«
    Mama ging um den Schreibtisch herum und legte Tante Paula die Hand auf die Schulter. Tante Paula schüttelte sie ab. Ihr Gesicht war wutverzerrt und nass vor Tränen. »Du hast immer nur getan, was dich glücklich gemacht hat. Glücklich! Wie viel Reis kann man sich vom Glücklichsein kaufen? Hast einfach deinen Schulleiter geheiratet, dich vor der Verantwortung gedrückt. Und ich musste die Bürde auf mich nehmen! Ich musste Bob heiraten!«
    »Das hätte ich niemals von dir verlangt.« Mamas Stimme war leise und sanft. »Ich dachte, du magst ihn.«
    »Was wusste ich denn schon? Ich war nur ein junges Mädchen.« Wieder liefen Tante Paula die Tränen übers Gesicht. »Du hast keine Ahnung, wie viele Entbehrungen ich auf mich nehmen musste, um es so weit zu bringen.«
    »Das gibt dir trotzdem nicht das Recht, uns so zu behandeln«, sagte ich leise. Auch mir tat Tante Paula irgendwie leid, aber gleichzeitig war während ihres vor Selbstmitleid triefenden Monologs eine stille Wut in mir gewachsen.
    Mama schnappte erschrocken nach Luft, aber ich stand nicht mehr unter ihrem Einfluss. Die Aufnahme in Yale gab mir emotionalen Auftrieb. Ich hatte eine neue Wohnung gefunden und den dafür nötigen Papierkram erledigt, nur das persönliche Empfehlungsschreiben für Mama fehlte noch. Ich wusste, dass wir die Verbindung zu Tante Paula jetzt unbesorgt
kappen konnten, und dieses Wissen verlieh mir den Mut zur Wahrheit.
    Tante Paula wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und verschmierte dabei ihren Eyeliner. »Deine Zähne sind scharf, und dein Mund ist kühn.«
    »Falsche Freundlichkeit und Höflichkeit ist alles, was du uns erwiesen hast.«
    »Wie kannst du es wagen, mir gegenüber so wenig Gesicht zu zeigen?«
    Ich starrte sie an. »Welches Gesicht man auflegt, spielt in Amerika keine Rolle. Hier zählt, wer man wirklich ist.«
    »Amerika! Wenn ich euch nicht hergeholt hätte, wärt ihr in Hongkong versauert. Ich habe euch sogar eine andere Adresse besorgt, damit du auf eine bessere Schule gehen konntest.«
    »Das hast du getan, weil unsere Wohnung illegal ist.«
    Tante Paulas Kieferknochen waren deutlich angespannt. Ihr war nicht klar gewesen, wie gut ich inzwischen Bescheid wusste.
    Mama versuchte sich einzumischen: »Ältere Schwester, du hast uns sehr geholfen, aber vielleicht ist es an der Zeit, dass wir uns ein wenig von dir abnabeln.«
    Ich fuhr unbeirrt fort: »Genauso illegal wie die Bezahlung nach Stückzahl hier in der Fabrik.«
    »Nach allem, was ich für euch getan habe, redest du so mit mir? Du behandelst ein menschliches Herz wie eine Hundelunge.« Ihr Auftreten war nun eher reumütig als wütend. Sie bekam es anscheinend mit der Angst zu tun.
    Ich richtete mich zu voller Größe auf. Ich war zwar nicht ganz so groß wie Tante Paula, aber viel größer als Mama. »Du solltest dich dafür schämen, dass du uns all die Jahre in diese Wohnung gesperrt und gezwungen hast, unter diesen Bedingungen zu arbeiten. Nachdem wir in den Brunnen
gefallen waren, hast du noch einen Felsbrocken hinterhergeworfen.«
    Mama hob den Blick vom Boden und nickte langsam. »Ältere Schwester, ich verstehe nicht, warum du uns so behandelt hast.«
    Tante Paula spie die Worte nur so aus: »Ich habe euch Arbeit und eine Unterkunft

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