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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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möchte ungern die Glühbirne sein.«
    »Mama!« Ich war froh, dass ich vor Hitze sowieso schon ein rotes Gesicht hatte und mein Erröten daher nicht weiter auffiel. Mamas scherzhafte Bemerkung, dass sie nicht den
Anstandswauwau spielen und wie eine Glühbirne in einem dunklen Zimmer über die küssenden Liebhaber wachen wollte, spiegelte meine heimliche Hoffnung wider: dass Matts Einladung tatsächlich ein Rendezvous war.
    Matt schüttelte sich wie ein Hund, um seine Verlegenheit zu überspielen, zog sich dann aber charmant aus der Affäre: »Nicht doch! Sie sehen so jung aus, dass jeder denken würde, Sie seien zum Erdnussschälen dabei.« Ein guter Satz. Er bezog sich auf den jüngeren Bruder oder die jüngere Schwester, die manchmal mit einem Pärchen ins Kino geschickt wird, um dort Erdnüsse zu schälen und die Verliebten vom Knutschen abzuhalten.
    Mama lachte. »Du bist so flink mit dem Mund. Also gut, ich würde mich …«
    Plötzlich fing einer der Männer an den Dampfbügelmaschinen wie am Spieß an zu schreien. Es war Mr Pak. Außer seinem Namen wusste ich nicht viel über ihn. Soviel mir bekannt war, hatte er keine Familienmitglieder, die in der Fabrik arbeiteten. Weil er von Dampf umhüllt war, konnte man nur schwer erkennen, was passiert war, aber die anderen drei Männer eilten ihm sofort zu Hilfe. Als Mama, Matt und ich angerannt kamen, versuchten sie gerade, den schweren Metalldeckel der Bügelmaschine anzuheben. Endlich gelang es ihnen, und Mr Pak zog seine Hand heraus und umklammerte sie, und er brüllte weiter vor Schmerzen. Ich traute mich nicht, genauer hinzusehen.
    Mir war sofort klar, was passiert war. Wenn die Männer an den Dampfbügelmaschinen unter Zeitdruck stehen und noch schneller arbeiten müssen als sonst, knallen sie den Deckel der Maschine einfach so fest zu, dass er von alleine einrastet. Dann öffnen sie ihn wieder und tauschen blitzschnell die Kleidungsstücke aus. Matt hatte mir erzählt, dass man sich
leicht die Hand einklemmen konnte, wenn man sie beim Zuknallen des Deckels nicht schnell genug herauszog.
    Auch Tante Paula und Onkel Bob waren inzwischen da und zwängten sich durch die Menschentraube, die sich um den Ort des Geschehens gebildet hatte.
    »Warum bist du auch so ungeschickt?«, schrie Tante Paula. Sie schnappte sich Mr Pak, der schluchzend über seiner Hand kauerte, und zog ihn Richtung Ausgang. Onkel Bob humpelte mit seinem schaukelnden Gang hinterher. Tante Paula rief über die Schulter: »Niemand ruft mir einen Rettungswagen! Wir bringen ihn zum Fabrikarzt! Und jetzt alle zurück an die Arbeit, heute Abend muss die Lieferung raus!«
    Während sich die Menge langsam auflöste, drehte ich mich zu Matt um. »Ich wusste gar nicht, dass wir einen Fabrikarzt haben.«
    Seine Stimme war leise und bebte leicht. Er war sichtlich mitgenommen. »Das ist nur ein Freund von Hundefloh-Mama. Bei ihm kann sie sicher sein, dass er den Unfall nicht meldet.«
    Auch ich zitterte, wie ich jetzt merkte. »Du willst sicher nach Hause, Matt. Mach dir um uns keine Sorgen.«
    »Zu Hause ist doch sowieso niemand. Meine Mutter hat gerade ihre Nadelbehandlung gegen die Schmerzen.«
    Wenig später tütete ich gerade, so schnell ich konnte, Röcke ein – es mussten alle verpackt sein, bevor die Lieferung abgeholt wurde –, als ich Tante Paula entschlossenen Schrittes auf uns zukommen sah. Sie wirkte angespannt.
    »Mit euch beiden wollte ich sowieso gerade sprechen, als der Unfall passiert ist. Es hat eine Änderung im Regelwerk gegeben.« Sie machte sich gar nicht erst die Mühe, ihr falsches Lächeln aufzusetzen. »Aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage
wird die Bezahlung für Röcke nach dieser Lieferung auf einen Cent pro Rock fallen.«
    »Was?«, fragte Mama.
    »Warum?«, fragte ich. Dann verstand ich: Tante Paula hatte gesehen, wie schnell ich arbeitete. Zu schnell. Wir fingen an, mehr Geld zu verdienen, und sie hatte sich ausgerechnet, dass wir auch über die Runden kamen, wenn sie uns weniger zahlte. Und ich hatte geglaubt, sie mit meinem Arbeitstempo beeindrucken zu können!
    »Seid mir nicht böse, aber so ist es nun mal. Firmeninterne Richtlinien. Das gilt für sämtliche Angestellte in der Endbearbeitung.«
    Wir waren die einzigen Angestellten in der Endbearbeitung.
    »Das ist nicht fair!«, platzte ich heraus. Mama, die hinter mir stand, knuffte mir unterhalb des Schulterblatts in den Rücken.
    Tante Paula richtete ihre Aufmerksamkeit auf mich. Sie hatte Lippenstift am

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