Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
machte mich vor Freude ganz
zittrig, aber er war auch seltsam qualvoll wie eine schmerzende Lunge.
Matt zeigte Mama und mir nicht nur die Freiheitsgöttin, sondern traf sich mit uns bereits am Times Square, der Tei-Am-Si-Arena. Als wir – von einem Menschenstrom mitgerissen – aus der riesigen U-Bahn-Station taumelten, war ich erleichtert, dass Matt wie versprochen vor dem Burger King an der Ecke stand. An seiner sicheren Seite blickten Mama und ich uns neugierig um. Endlich bekam ich das New York zu sehen, von dem ich immer geträumt hatte. Eine lange weiße Limousine fuhr vorbei, flankiert von Dutzenden gelben Taxis. Wir schlenderten an Kinos und Restaurants vorbei, an Neonschildern, auf denen »Girls Girls Girls« stand, und an gewaltigen Reklametafeln für Broadway-Musicals. Ich fühlte mich seltsam zu Hause. Die überfüllten Straßen und das emsige Treiben erinnerten mich an die nobleren Viertel von Hongkong, auch wenn die Tei-Am-Si-Arena noch größer und reicher wirkte. Hier sah man die unterschiedlichsten Kleidungsstile, aber manche Frauen waren besonders elegant gekleidet und trugen hohe Absätze und Kostüme mit Schulterpolstern. Viele Passanten waren weiß, aber ich entdeckte auch einen Inder mit Turban, einige Schwarze in traditioneller afrikanischer Kleidung und eine Gruppe singender Mönche in melonenfarbenen Gewändern. Mama legte die Handflächen aneinander und verbeugte sich vor ihnen, und einer der Mönche unterbrach seine Gesänge, um sich ebenfalls zu verbeugen.
»Oh, schaut mal!«, rief Mama und zeigte auf ein großes Musikgeschäft. Ich schirmte mir die Augen vor der gleißenden Sonne ab, um ins Schaufenster blicken zu können: eine grenzenlose Auswahl an Flügeln, Cellos, Geigen. Im Hintergrund waren Vitrinen voller Noten und Partituren zu erkennen.
»Lass uns doch reingehen«, schlug Matt vor.
»Oh nein, wir können doch sowieso nichts kaufen«, protestierte Mama.
»Aber schauen kann man ja mal«, sagte ich. Ich wusste genau, wie sehr sie sich wünschte, diesen Laden zu betreten. Also zogen Matt und ich sie durch die Doppeltüre hinein.
Wir wurden von einem Schwall klimatisierter Luft begrüßt und kamen uns vor wie im Himmel. Es waren genügend andere Ladenbesucher da, die herumschlenderten und Instrumente oder Noten begutachteten, und Mama entspannte sich nach und nach. Einige Kunden setzten sich sogar an die Klaviere, um sie auszuprobieren. Ich sehnte mich plötzlich nach diesem sauberen, mit weichem Teppich ausgelegten Leben, und auch Mama hatte die Augen weit aufgerissen und sah aus wie ein kleines Mädchen. Sie begann, völlig versunken durch einen Stapel Mozartpartituren zu blättern.
Matt und ich liefen unterdessen allein herum.
»Ich wusste gar nicht, dass deine Mutter Musik so toll findet«, sagte Matt.
»Sie war Musiklehrerin«, antwortete ich und zögerte. »Zu Hause in Hongkong. Was ist mit deinen Eltern? Wofür interessieren die sich?«
»Meine Mutter ist immer viel zu beschäftigt, allein schon mit Park. Und mein Vater ist weg. Also muss ich für uns alle sorgen.«
Ich lächelte. Matt nahm seine Verantwortung immer furchtbar ernst. Aber es war das erste Mal, dass ich etwas über seinen Vater gehört hatte.
»Du meinst, er ist tot?«
Matt nickte, ohne mir dabei in die Augen zu sehen. Dann fragte er: »Wo ist deine Mutter?«
Ich drehte mich nach Mama um und sah, dass sie sich in
der Nähe eines Flügels herumdrückte. Ich wies mit dem Kopf in ihre Richtung, und Matt und ich gesellten uns zu ihr.
»Ein wunderschönes Instrument, nicht wahr?«, schwärmte Mama und blätterte durch die Noten, die jemand auf dem Klavier liegen gelassen hatte. »Es klingt bestimmt wunderbar.«
»Probieren Sie es doch aus«, sagte Matt. »Es hat sicher niemand was dagegen, wenn Sie ein bisschen herumklimpern.«
»Lieber nicht«, zierte sich Mama.
»Bitte!« Ich wünschte mir so sehr, dass sie für Matt etwas spielte. Er sollte sehen, dass wir mehr waren, als es in der Fabrik den Anschein hatte.
Langsam setzte sich Mama an den Flügel. »Dein Vater hat dieses Stück geliebt«, sagte sie und fuhr mit den Fingern in ein paar schnellen Läufen über die Klaviatur, bevor sie anfing, Chopins Nocturne in As-Dur zu spielen.
Matt blieb der Mund offen stehen.
Ich lauschte mit geschlossenen Augen und dachte an alte Zeiten zurück, als wir noch unser eigenes Klavier besessen hatten. Wie anmutig Mamas zarte Finger immer über die Tasten geflogen waren. Sie spielte nur den Anfang und
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