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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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und vorsichtig über das Kleidungsstück zog, brauchte ich zwanzig Sekunden pro Teil. Dann probierte ich verschiedene Techniken aus, um meine Methode zu verfeinern.
    Ich fand heraus, dass es am schnellsten ging, wenn ich die nächste Tüte in der Rolle mit meiner Hand packte, die schweißnass und daher klebrig war, die Tüte leicht drehte, bis die Öffnung von alleine aufging, und dann, während ich sie über das Kleidungsstück zog, mit der anderen Hand auf die Perforierung schlug, damit sich die Tüte beim Herunterfallen von der Rolle trennte. Noch bevor die Tüte ganz über das Kleidungsstück geglitten war, hob ich es bereits am Bügel aus dem Gestell und hängte es auf den Ständer zu meiner Linken. Gleichzeitig griff ich mit der rechten Hand nach dem nächsten Teil.
    Hosen dauerten etwas länger, weil sie meist einen Gürtel hatten und deshalb auf dem Bügel nicht ausbalanciert waren und leicht abrutschten, wenn man sie nicht mit beiden Händen nach oben aus dem Ständer hob. Vom vielen Heben bekam ich stahlharte Armmuskeln.
    Gegen Ende des Sommers hatte ich meinen Rhythmus gefunden und konnte fast fünfhundert Röcke pro Stunde eintüten, was etwa sieben Sekunden pro Rock bedeutete. Ein paar Jahre später erreichte ich eine Höchstgeschwindigkeit von knapp fünf Sekunden pro Rock und tütete mehr als siebenhundert Röcke pro Stunde ein.
    Trotz meiner Abneigung gegenüber Tante Paula arbeitete ich härter und schneller, wenn sie vorbeiging. Ich wollte ihr zeigen, dass wir fleißige, wertvolle und loyale Arbeiterinnen waren, weil ich immer noch hoffte, dass sie uns irgendwann belohnte, wenn wir uns gut anstellten.
    Eines Abends kam Matt wieder einmal nach Feierabend zu uns in die Endbearbeitung und half uns beim Auszeichnen der Röcke. An Tagen, an denen eine Lieferung fällig war, wurden wir in der Reihenfolge des Herstellungsprozesses fertig, und da das Abschneiden der Fäden ein viel früher stattfindender Arbeitsschritt war, hatte er seinen Beitrag bereits geleistet. Mama und ich kamen hingegen als Letzte an die Reihe. Matt hätte natürlich nach Hause gehen können, aber manchmal blieb er noch, um ein wenig Zeit mit mir zu verbringen.
    Mama lächelte ihm zu. Sie musste schreien, um den Lärm der Dampfbügelmaschinen zu übertönen: »Du wirst immer größer, Matt. Ich wusste ja gar nicht, aus was für feinem Material du gemacht bist.« Damit wollte sie sagen, dass er attraktiv war.
    Matt grinste und spannte die Muskeln an. »Das kommt vom vielen Fadenabschneiden, Frau Chang. Da wird man groß und stark.«
    Ich stand ein paar Meter entfernt und tütete wie üblich Kleidungsstücke ein, konnte aber nicht umhin, einen verstohlenen Blick auf seine Schultern zu werfen. Matt war immer noch mager, aber unter seinem weißen Unterhemd zeichnete sich bereits der breitschultrige Körperbau eines jungen Mannes ab. Just in diesem Moment schaute Matt zu mir herüber, um zu sehen, ob ich Mamas Kompliment gehört hatte, und erwischte mich dabei, wie ich ihn anstarrte.
    Sofort warf er sich in Pose, indem er einen Arm hob und den anderen in die Hüfte stützte. »Wie sehe ich aus?«
    Ich kicherte. »Wie die Freiheitsgöttin!«
    Er tat beleidigt. »Was verstehst du schon davon? Du weißt doch sicher gar nicht mehr, wie sie aussieht.«
    Mir fielen meine alten Träume von New York wieder ein. In Hongkong hatte ich geglaubt, wir würden direkt am Times Square wohnen, den wir Tei-Am-Si-Arena nannten. Stattdessen hatte es mich in die Slums von Brooklyn verschlagen. »Ich habe sie ja auch noch nie gesehen«, sagte ich ernst.
    »Du machst große Worte!« Er war überzeugt davon, dass ich ihn anlog.
    »Nein, ernsthaft.«
    »Du meinst, du hast Min-hat-ton noch nie gesehen?« Er benutzte die kantonesische Aussprache von Manhattan.
    »Nur Chinatown.«
    »Na, dann führe ich dich am Sonntag aus! Du kannst nicht in New York leben, ohne die einzig wahre Freiheitsgöttin gesehen zu haben.«
    Meine Lippen formten ein kleines, begeistertes »Oh«, aber ich wusste nicht, wie Mama darauf reagieren würde. Sie arbeitete mit dem Rücken zu uns und tat so, als würde sie nicht zuhören.
    »Frau Chang?«, fragte Matt. »Wie wäre es, wenn ich am Sonntag Ihren Stadtführer spielen würde?«
    Eine Woge der Enttäuschung brach über mich herein, aber ich musste natürlich seine Cleverness anerkennen. Es war viel wahrscheinlicher, dass Mama Ja sagte, wenn sie ebenfalls eingeladen war.
    Mit einem spöttischen Lächeln drehte sich Mama zu uns um. »Ich

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