Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
schließlich den Reis nach Hause bringen, stimmt’s?« Das Geld verdienen, meinte er.
Meine Gewissensbisse waren so heftig, dass ich keine Antwort herausbekam. Dass er jetzt so nett zu mir war, machte die Sache nur noch schlimmer. »Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Vielleicht, wenn du älter bist. Die Arbeit ist gut bezahlt, und sie macht stark. Wenn du hier arbeitest, wirst du auch so ein Kraftprotz wie ich.«
Normalerweise hätte ich über seinen Scherz gelacht, aber als ich es versuchte, kam statt Gelächter nur eine Art Husten aus meinem Mund.
Er sah mich ernst an. »Ich hätte diese Arbeit sowieso gebraucht. Meine Mutter ist so schwach, dass sie kaum noch einen Cent verdient. Ihr tut das Herz weh und die Lunge auch. Und Park kann auch nicht viel arbeiten. Ich komme schon zurecht.« Statt meine Antwort abzuwarten, wechselte er das Thema: »He, kannst du ihr das von mir bringen?«
Ich hielt die Hand auf, und er ließ etwas Metallenes aus seiner geschlossenen Faust hineinfallen: eine goldene Halskette, an der eine Kuan Yin aus geschnitzter Jade hing. Sie hatte eine Vielzahl von Armen und hielt in jeder Hand ein anderes Werkzeug. Man nennt sie die Göttin mit den unendlich vielen Armen, und sie hilft den Notleidenden.
Ich hatte die Kette schon vorher an Matt gesehen, mir aber nichts dabei gedacht. Es ist weit verbreitet, dass Eltern ihren Kindern Gold- oder Jadeschmuck schenken, den sie zum Schutz vor bösen Mächten unter ihrer Kleidung tragen. Dieser Schmuck wird eigentlich niemals abgelegt. Manche Familien haben kaum genug zu essen und sparen jahrelang, bis sie sich diesen Schutz für ihre Kinder leisten können.
Umso verdutzter war ich, als Matt mir die Kette nun einfach so in die Hand drückte. »Schau«, sagte er und zog sein Unterhemd herunter, um mir die roten Male zu zeigen, die ihm die Kette in die Haut gebrannt hatte.
»An der Maschine ist es viel zu heiß für Metallschmuck«, sagte ich matt und wurde wieder von meinen Schuldgefühlen überwältigt.
»Was du nicht sagst! He, am Sonntag machen wir unseren Ausflug, oder?«
Unwillkürlich verzog ich den Mund zu einem breiten Grinsen. »Echt? Du willst trotzdem noch den Ausflug machen?«
»Klar. Aber jetzt muss ich weiterarbeiten, damit ich nicht zu sehr zurückfalle.« Mit diesen Worten kehrte er an seine Bügelmaschine zurück.
Seine Kuan Yin aus Jade leuchtete so grün wie ein zartes Frühlingsblatt. Die Kette musste sehr wertvoll sein. Ich brachte sie sofort zu Frau Wu. Sie drehte mir gerade den Rücken zu und schimpfte mit Park wegen irgendetwas. Er hatte sich halb von ihr weggedreht und konnte daher unmöglich ihre Lippen lesen, aber zu meiner großen Überraschung reagierte er trotzdem und tätschelte ihr unbeholfen den Arm.
Ich musterte Frau Wus Gesicht genauer und sah, dass Matt recht hatte: Sie sah nicht gesund aus. Die deutlichen Tränensäcke waren nichts Neues, aber jetzt hatten ihre Haut
und ihre Lippen einen aschfahlen Ton angenommen, und das Weiße in ihren Augen schimmerte gelblich.
In diesem Moment entdeckte sie mich und sagte: »Dass du dich noch hertraust!«
Erschrocken hielt ich ihr Matts Kette hin, aber sie warf nur einen verächtlichen Blick darauf. »Bist du jetzt nett zu meinem Sohn?«
Ich traute mich nicht, ihr zu antworten. Sie wusste offensichtlich, dass Matt seine neue Arbeit an der Bügelmaschine mir zu verdanken hatte.
»Und da dachte ich anfangs, du wärst ein Junge!«, sagte sie. Die Entrüstung brachte ihren Taishan-Dialekt noch deutlicher zum Vorschein. »Er hat ein gutes Herz.« Sie nahm mir die Kette aus der Hand. »War ja klar, dass er sie dir gibt«, murmelte sie.
Plötzlich hörte ich Mamas Stimme hinter mir. Sie musste herübergekommen sein, als sie sah, dass wir miteinander sprachen. »Frau Wu, ich senke den Blick vor Ihnen. Das Ganze ist unsere Schuld.«
Frau Wu starrte Mama an. Dann schien die Spannung aus ihr zu entweichen. »Wir können alle nicht aus unserer Haut. Er ist ein guter Junge, er kommt schon zurecht.«
»Kimberly ist auch kein schlechtes Mädchen.« Mamas Blick war voller Wärme. »Sie sind beide so jung und impulsiv. Wir müssen ihnen Zeit lassen.«
Die beiden Mütter sahen sich an.
»Kinder«, sagte Frau Wu seufzend.
Ich lief schnell zurück zu unserer Arbeitsstation, aber die Worte der beiden Frauen flimmerten in meinem Kopf herum und ließen mir keine Ruhe. Hatte Frau Wu tatsächlich angedeutet, dass Matt mich gern hatte, wenn auch nur ein winziges bisschen? Der Gedanke
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