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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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aus der Hand und las den Anfang vor:
    »Die Indian Chief von 1934 ist ein echter Klassiker und trägt den berühmten Indianerkopf mit Federschmuck auf dem Tank. Die riesige Fertigungshalle der Firma Indian Motorcycle in Springfield nannte sich ›Wigwam‹ …«
    Als ich fertig war, starrten mich Park und die Näherinnen an. Tuschelnd wandten sich die Frauen wieder ihrer Näharbeit zu. Ich gab Park die Zeitschrift.
    »Matt kann dir später den Rest vorlesen.« Ich blieb stehen, weil ich sehen wollte, wie er reagierte.
    Ganz langsam zog er einen Mundwinkel nach oben. Er schien nicht daran gewöhnt zu sein zu lächeln, und so dauerte es, bis sich das Lächeln übers ganze Gesicht ausgebreitet hatte. Er sah fast hübsch aus und sah Matt sehr ähnlich.
    Ich ging wieder an die Arbeit, hielt dabei aber ständig nach Matt Ausschau, wie immer in den letzten Monaten. Als er kurz darauf zur Toilette ging, sah ich, wie Park ihn abfing und
ihm die Zeitschrift zeigte. Zusammen blätterten sie durch die Seiten.
    Etwa eine Stunde später kam Matt vor Schweiß triefend zu mir herüber. »Danke. Wo hast du die her? Kann ich dir Geld dafür geben?«
    »Aus der Schule. Keine Sorge, ich habe sie umsonst bekommen.«
    »Wow, die müssen dich echt mögen an deiner Schule.«
    »Hm.« Ich starrte auf den Boden und hob dann den Blick zu Matt. »Da bin ich mir nicht so sicher.«
    »Warum?«
    »Die denken, dass ich die Katze rausschicke.« Eine Umschreibung für Betrug.
    Er hob seine dichten Augenbrauen. »Du? Die müssen ja vollkommen verrückt sein.«
    Ich lächelte über das Vertrauen, das er in mich hatte. »Woher willst du wissen, dass ich keine Betrügerin bin?«
    »Ein berechnender Mensch könnte nie so nett zu Park sein, wie du es bist.« Matt sah mich ernst an.
    Ich errötete. Um das Thema zu wechseln, stellte ich ihm die Frage, die mir schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte: »Warum tut ihr so, als wäre er taub?«
    Er hustete. »Keine Ahnung, wovon du sprichst, Kimberly.« Ich ließ nicht locker. »Vertuscht ihr damit vielleicht etwas anderes?«
    »Und was sollte das sein?«
    »Dass er nicht spricht. Beziehungsweise nicht sprechen kann. «
    Nach einer Pause sagte Matt: »Ich habe ihn noch nie sprechen hören. Nicht einmal, als er klein war. Er macht nur Geräusche.« Seine goldenen Augen waren traurig. »Hätte mich treffen sollen. Ich käme besser damit klar.«
    »Wenn du so auf die Welt gekommen wärst?«
    Er nickte. Wir redeten nicht über Taubstummheit; Parks Probleme waren eindeutig schwerwiegender. Es rührte mich, dass Matt mich einweihte. Und ich verstand, warum er und seine Mutter Parks Einschränkungen zu verbergen versuchten. In der chinesischen Kultur herrschte in jenen Jahren noch die Auffassung, dass eine Behinderung die ganze Familie, die ganze Gemeinschaft besudelt wie eine ansteckende Krankheit.
    »Du kämst also besser damit klar? Auf mich machst du gar keinen so zähen Eindruck«, zog ich ihn auf. Ich wusste, dass ich Matt mit dieser Art von Geplänkel aus seiner Melancholie riss.
    Er grinste. »Und was ist mit dir?«
    Von diesem Tag an benutzte Matt zwar vor anderen Leuten weiterhin seine Zeichensprache im Umgang mit Park, aber nicht vor mir. Mit der Zeit lernte ich ein paar von Parks Zeichen und verstand ihn meistens, wenn er mir etwas mitteilen wollte. Irgendwie hatte er etwas Beruhigendes an sich. Jetzt, wo ich Kontakt zu ihm aufgenommen hatte, ignorierte er mich nicht mehr völlig, wie er es mit den meisten anderen Leuten tat. Offen gestanden war ich froh, jemanden zu haben, der meine Leidenschaft teilte. In seiner Anwesenheit konnte ich über Dinge wie Hubraum und Zylinderzahl dozieren, und er quittierte mein Gerede mit einem begeisterten Nicken, auch wenn er mir dabei nur selten in die Augen sah. Von jetzt an brachte ich alle meine Auto- und Motorradmagazine mit in die Fabrik und zeigte Park, welche Modelle ich am besten fand.
     
    Am Vorabend meiner mündlichen Prüfung war in der Fabrik eine Lieferung fällig, so dass wir erst nach zwei Uhr morgens nach Hause kamen. Den Rest der Nacht blieb ich
wach und büffelte. Über meine vielen Kleiderschichten hatte ich zusätzlich den Mantel aus Plüschtierstoff gezogen, den Mama immer wieder recycelte und neu nähte, wenn ich herauswuchs. Die Nacht war kalt und klamm und schmeckte nach Angst, nur Mamas schlafender Körper spendete mir ein wenig Trost. Außerhalb des Lichtkreises meiner Lampe war es stockfinster. In dieser Nacht war ich der Verzweiflung nahe.

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