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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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sich stehen. Auf dem Gepäckträger war eine große, grün gestrichene Holzkiste befestigt. »Antonios Pizza« stand darauf in geschwungenen Buchstaben, die aus dem glänzenden Schnurrbart eines grinsenden Italieners herauswuchsen.
    »Woher hast du das Fahrrad?«, fragte ich.
    »Von meinem anderen Job. Ich wette, du hattest keine Ahnung, dass ich so viele Talente besitze.«
    »Woher nimmst du die Zeit, als Pizzabote zu arbeiten? Ich meine, du hast doch Schule und so.«
    »Ach, die Schule nimmt nicht viel Zeit in Anspruch«, sagte er und starrte aufs Lenkrad. Er schwänzte also für seinen Zweitjob. Davon wusste seine Mutter bestimmt nichts.
    Er schwang das Bein übers Fahrrad und wartete. »Steig auf!«
    Ich wusste aber nicht, wo ich aufsteigen sollte. Die einzige Möglichkeit schien die Holzkiste hinter ihm zu sein, also kletterte ich darauf und rutschte so lange herum, bis meine Beine rechts und links von Matt herunterbaumelten, wobei ich ihn fast getreten hätte. Ängstlich hielt ich mich an der Unterseite des Fahrradsitzes fest. Dann trat Matt in die Pedale, und mit einem Ruck setzten wir uns in Bewegung.
    Das Fahrrad schwankte, als Matt immer mehr Fahrt aufnahm, und wir rasten förmlich dahin.
    »Willst du dich nicht lieber an mir festhalten?«, fragte er. »Das ist sicherer.«
    »Geht schon«, hauchte ich. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als die Arme um ihn zu schlingen, aber ich war mir der Nähe seines Körpers derart bewusst, dass mich allein beim Gedanken daran die Schüchternheit überkam.
    Die Passanten sprangen erschrocken beiseite, wenn sie uns kommen sahen, und so öffneten sich immer wieder Lücken, durch die wir hindurchschossen.
    »Du fliegender Junge, du!«, brüllte eine Frau. Ein fliegender Junge ist ein Gangster, ein Jugendlicher, der auf der Straße herumhängt. Es war definitiv nicht als Kompliment gemeint.
    »Und Sie haben eine Schweinchennase und Schlitze als Augen!« , rief Matt über die Schulter.
    Ich warf der Frau einen entschuldigenden Blick zu, während Matt auf den Gehweg ausscherte, um einem Lieferwagen auszuweichen. Wir rumpelten über den Bordstein und brachten die Fußgänger dazu, aus dem Weg zu springen. Dann waren wir wieder auf der Straße. Bei der Chinesisch-Amerikanischen Bank schien Matt langsamer zu werden, und ich fragte mich schon, ob sein Vater vielleicht dort arbeitete. Dann sah ich, dass er nur einem hübschen Mädchen in engen Jeans hinterherstarrte. Ich hasste sie in diesem Moment, und ihn auch. Sekunden später hatten wir Chinatown hinter uns gelassen, und der Verkehr ließ etwas nach.
    Während wir die Bowery hinaufsausten, warf ich mein Haar zurück und entspannte mich. Wie oft hatte ich davon geträumt, mit Höchstgeschwindigkeit auf einem Motorrad dahinzubrausen, und näher als heute war ich diesem Traum nie gekommen. Die Umgebung flog an uns vorbei, der Wind strömte durch unsere Kleider, und mir war nicht einmal kalt, weil ich so froh war, in Matts Nähe zu sein. Ich reckte mein Gesicht der Nachmittagssonne entgegen. Vor uns stieg eine Taube spiralförmig zwischen den Betongebäuden auf und nahm mit ausgebreiteten Flügeln Kurs Richtung Himmel.
    Matt drehte sich um und sah mich an. »Hast du Angst?«
    »Versuchst du denn, mir Angst zu machen?« Ich hatte das Gefühl, dass ich leuchtete und alle Welt mein Glück sehen konnte.
    Er grinste und drehte sich wieder nach vorne. »Nee, du hältst dich ja sowieso nicht an mir fest. Deine Gallenblase ist so was von groß.« Er meinte damit, dass ich mutig war.
    Auf Höhe einer kleinen Gasse wurde Matt langsamer. Wir mussten immer noch in Manhattan sein, denn wir hatten keine Brücke überquert, aber ich hatte keine Ahnung, wo genau wir uns befanden. Schließlich stoppten wir neben einem leer
stehenden Gebäude, und Matt hielt das Fahrrad fest, während ich hinunterkletterte. Ein paar Türen weiter hatte sich ein Obdachloser mit einem Einkaufswagen niedergelassen. Alle Fenster waren mit Brettern vernagelt, aber aus einem höheren Stockwerk hörte ich ein Baby schreien. An den Feuerleitern flatterte Wäsche, und der Wind trieb spanische Wortfetzen vor sich her. Ich atmete flach, um dem Gestank von Urin und Autoabgasen zu entgehen, erreichte damit aber nur, dass ich ihn stattdessen auf der Zunge schmeckte. Die Gegend sah aus wie mein eigenes Viertel.
    Matt ging ein paar Stufen hinunter, zum Eingang einer leeren Ladenfront. Im abgesenkten Eingangsbereich hatte sich der Müll angesammelt, und er musste erst eine leere

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