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Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)

Titel: Goodbye Chinatown: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Kwok
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noch …«
    »Zu uns nach Hause kommen«, beendete ich ihren Satz. Ich war überglücklich. Endlich konnte ich eine Nacht in Freiheit verbringen.
     
    »Die Inspekteure kommen! Die Inspekteure kommen!« So nervös hatte ich Tante Paula noch nie gesehen.
    Sie und Onkel Bob wirbelten wie ein Hurrikan durch die Fabrik, fegten Kleider von Arbeitstischen, schwangen Besen
und Staubtücher und scheuchten – was am wichtigsten war – die Kinder in verschiedene geheime Verstecke.
    »Alle unter achtzehn verschwinden von der Bildfläche!«
    Tante Paula packte mich am Rücken meines T-Shirts und schleuderte mich regelrecht in eine der Männertoiletten, bevor sie die Tür hinter mir zuschlug. Ich stieß mit der Schulter gegen jemanden, und wir sprangen beide erschrocken zurück, bevor ich merkte, dass es Matt war.
    »Hey«, sagte er. »Alles okay?«
    Bevor ich antworten konnte, ging die Tür auf und drei weitere Kinder wurden zu uns hineingedrängt. Dann wurde die Tür wieder zugeknallt. Die Neuankömmlinge waren um einiges jünger als wir.
    Es war so eng, dass der Kopf eines kleinen Jungen unter meinem Arm feststeckte. Die Männertoilette war dreckig, und es gab darin nur ein Plumpsklo und ein Waschbecken. Wir wussten, dass wir kein Licht anmachen durften. Matt war zwischen Waschbecken und Wand eingeklemmt. Wir anderen bemühten uns, dem offenen Loch in der Mitte auszuweichen, über dem noch nicht einmal ein Sitz oder eine Abdeckung angebracht war. Um den üblichen süßen Schmerz zu bekämpfen, den ich in Matts Anwesenheit empfand, erlaubte ich einem kleinen Mädchen, sich zwischen uns zu drängen.
    Trotzdem war mir Matt immer noch viel zu nahe. Wenn er seinen Arm bewegte, war es fast so, als würde er mich berühren. Aber die anderen Kinder waren auch noch da, und der kleine Junge neben dem Klo starrte wie hypnotisiert in das Loch im Boden.
    »Denk nicht mal dran!«, hörte ich Matt über meinen Kopf hinweg zischen. »Halt es zurück!«
    Der kleine Junge presste mit weit aufgerissenen Augen die Beine zusammen. An seinen Kleidern klebte Fabrikstaub. Ich
streckte die Hand aus und strich ihm übers Haar. »Es wird alles gut«, murmelte ich. »Gleich ist es vorbei.«
    Ein größeres Mädchen flüsterte plötzlich: »Da ist eine Kakerlake im Waschbecken!«
    Matt und ich machten beide einen Satz. Er sprang so schnell vom Becken weg, dass er innerhalb einer einzigen Sekunde die Plätze mit dem Jungen neben mir getauscht hatte, vermutlich der instinktive Versuch, zur Tür zu gelangen. Ich kicherte in mich hinein. Er hatte also genauso viel Angst vor Insekten wie ich. Der kleine Junge stand nun ans Waschbecken gedrängt neben dem kleinen Mädchen. Er warf mir und Matt einen verächtlichen Blick zu, zog dann ein Stück Papier aus der Hosentasche und zerdrückte die Kakerlake im Waschbecken.
    Ich erschlaffte vor Erleichterung, als sie tot war, und schloss die Augen. Matt roch nach Schweiß und Aftershave, seine Brust fühlte sich hart an. Ich bildete mir ein, seinen Herzschlag unter dem dünnen T-Shirt fühlen zu können. Tante Paula und Onkel Bob mussten ihn von der Bügelmaschine weggezerrt haben. Jetzt, wo mir keine andere Wahl blieb, als an ihn gepresst dazustehen, entspannte ich mich allmählich.
    Plötzlich stieß er einen erstickten Schrei aus. Ich machte die Augen auf und sah im Halbdunkel, wie der kleine Junge das Papier mit der Kakerlake vor unserer Nase baumeln ließ. Er grinste wie ein Irrer. Ich stieß einen erschrockenen Schrei aus, weil ich mir einbildete, die Fühler des Insekts wackeln zu sehen. Wir waren in unserer Wohnung zwar täglich den Kakerlaken ausgesetzt, aber ich fand sie immer noch genauso widerlich wie am ersten Tag, vielleicht sogar noch mehr.
    Sofort war ein Klopfen an der Tür zu hören. Onkel Bobs Stimme erklang: »Seid still da drinnen! Sie sind gleich hier!«
    Wir erstarrten. Draußen hörten wir unterwürfige Stimmen, und selbst das Brummen der Maschinen wirkte gedämpfter
als sonst. Sie sprachen englisch, aber ich verstand kein einziges Wort. Vor lauter Angst, entdeckt zu werden, wagten wir nicht einmal zu atmen. Jeder wusste, wie solche Dinge in Chinatown gehandhabt wurden. Vermutlich hatte schon Geld die Hände gewechselt, damit die Kontrolle möglichst oberflächlich ausfiel, aber wir hatten trotzdem genauso viel Angst, dass man uns entdeckte, wie die Inhaber der Fabrik. Wenn sie stillgelegt wurde, wer füllte dann unsere Reisschüsseln?
    Mein Herz klopfte jetzt genauso heftig wie Matts. Die

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