Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
ihn halten würden, aber sie waren nirgendwo zu sehen. Auch andere Erwachsene suchte ich vergeblich.
»Ich glaube, da ist jemand von der Theatergruppe«, sagte Annette und zeigte auf eine tanzende Gestalt.
»Geh ruhig!«, rief ich ihr zu, um die Musik zu übertönen. »Gib mir deine Tasche, ich bringe sie für dich weg.«
Sie gab mir ihre Handtasche und ging dann zu ihrem Freund hinüber. Ich tastete mich den Flur entlang, öffnete die Schlafzimmertür und knipste das Licht an. Auf dem Mahagonibett lagen stapelweise Kleider und Handtaschen. Plötzlich bewegte sich der Stapel. Fast hätte ich laut geschrien, aber dann erkannte ich einen Jungen aus meinem Jahrgang, der dort mit einem Mädchen knutschte. Er hatte seine Hände unter ihre Bluse geschoben, und sie durchwühlte seine Haare.
Nachdem er die Lippen von ihrem Mund gelöst hatte, warf er mir einen bösen Blick zu. »Würdest du bitte …?«
»Tut mir leid!« Ich löschte schnell wieder das Licht, warf Annettes Handtasche aufs Bett und verließ das Zimmer.
Ich fand Annette im Discozimmer, wo sie sich gerade mit einem Jungen von der Schülerzeitung unterhielt. Die beiden standen neben einer langen Kommode, die wohl eine Minibar sein musste. Annette mixte sich gerade einen Gin Tonic, der hauptsächlich aus Tonic Water bestand. Die Musik war mindestens so laut wie die Maschinen in der Fabrik, und Annette zog mich auf die Tanzfläche. Ich tanzte zum ersten Mal auf diese Art von Musik, stellte aber schnell fest, dass ich ein angeborenes Rhythmusgefühl hatte. Um uns herum bildete sich ein Kreis anderer Tänzer, und nach einer Weile tanzte Annette von mir weg. Ich drehte mich immer weiter unter der Discokugel und fühlte mich wie ein echter amerikanischer Teenager.
Dann spürte ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter. Curt. Ob er mich schon länger beobachtete? Er nahm meine Hand und zog mich in den Flur.
»Ich will dir was zeigen«, sagte er.
Er führte mich in sein Zimmer, aus dem uns eine süßliche Rauchwolke entgegenschlug. Ein Grüppchen Partygäste saß im Kreis auf dem Boden, in der Mitte brannten Kerzen. Hier war es viel ruhiger.
»Ihr müsst echt mal das Fenster aufmachen, Leute«, sagte Curt.
»Das Fenster ist offen«, ließ Sheryl von ihrem Sitzplatz auf dem Boden vernehmen. Sie schien überrascht zu sein, mich zu sehen, genau wie ein paar andere Leute, aber niemand sagte etwas.
Curt führte mich zu einer Lücke in der Runde, und wir setzten uns. Mit einem der anwesenden Jungen hatte ich vor
einiger Zeit mal geknutscht, und sein Gesicht hellte sich auf, als er mich sah, aber Curt hatte es auch bemerkt und schien sich absichtlich zwischen uns gesetzt zu haben.
In der Runde ging eine riesige chinesische Wasserpfeife herum. Sie war über einen halben Meter hoch, und ich hätte beide Hände gebraucht, um ihren Schaft zu umfassen. Der Geruch verriet mir, dass hier kein Tabak geraucht wurde.
Annette steckte den Kopf zur Tür herein. »Kimberly, bist du hier drin?«
»Hey!«, antwortete ich.
Sie hatte sofort erfasst, was im Zimmer vor sich ging. »Alles klar bei dir?«
»Mir geht’s gut. Willst du nicht reinkommen?« An diesem Abend steckte ich voller Neugier und Wagemut. Andere Teenager hatten die Wahl, ob sie der Versuchung jetzt gleich nachgeben oder bis zum nächsten Mal warten wollten. Für mich gab es kein Später. Wenn ich es jetzt nicht probierte, kam die Gelegenheit vielleicht nie wieder.
Annette zog eine Grimasse. »Igitt. Nein danke, wir sehn uns später.« Sie machte die Tür wieder zu.
»Die Wasserpfeife ist aus China«, flüsterte ich Curt zu.
»Ich weiß.«
»Woher hast du die?«
»Hab sie im Büro von meinem Vater mitgehen lassen. Einer seiner chinesischen Autoren hat sie ihm geschenkt. Der arme Kerl wusste wahrscheinlich gar nicht, wozu wir solche Bongs hier benutzen. Mein Vater hat so viel Zeug rumstehen, der hat bestimmt nicht mal gemerkt, dass sie weg ist.«
Als die Wasserpfeife zu mir kam, strich ich bewundernd über die aufwendigen Schnitzereien. Alle schauten verstohlen in meine Richtung. Wahrscheinlich wollten sie sehen, wie ich hustete und mich blöd anstellte. Aber in Hongkong hatte
ich schon oft Männer mit Wasserpfeifen in Cafés sitzen sehen und ihnen beim Rauchen zugeschaut.
Ich legte den Mund an die Röhre und schloss sie luftdicht ab, hielt dann ein Feuerzeug an die kleine Metallschale, die am Schaft befestigt war, und atmete durch den Mund ein. Das Wasser sprudelte, während der Rauch nach oben stieg
Weitere Kostenlose Bücher