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Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
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Zubereitung von Gulasch aus zähem Rindfleisch und roter Paprika, die sie in kleinen Stofftaschen von zu Hause mitgenommen hatten. Aus lauter Dankbarkeit dafür, dass sie sie nicht nur in Anatomie, sondern auch in sowjetischer Überlebenskunst unterwiesen hatte, luden die Studenten meine Mutter nach Budapest ein, damit sie ihre Eltern kennenlernen und richtiges Gulasch aus echtem Fleisch kosten konnte. Indessen verwehrten ihr die schurkischen Bürokraten ihr Visum, nachdem sie einen Koffer voller Mitbringsel eingekauft und einen ganzen Ordner mit den erforderlichen Persönlichkeitsgutachten zusammengestellt hatte. Es sei für eine Professorin unsowjetisch, befanden sie, einen ausländischen Studenten zu Hause zu besuchen.
    Das Büro für Eheschließungen mit Ausländern befindet sich an der Newa, in einer jener ehemaligen hochherrschaftlichen Stadtresidenzen, die von unserer despotischen Vergangenheit zeugen. Das Büro für die Antragsteller liegt im Erdgeschoss, direkt unter einer Marmortreppe, die mit einem dicken roten Seil abgesperrt ist, wie es zum Schutz von Museumsexponaten verwendet wird. Das Gebäude wirkt feierlich und leer; es scheint nicht viele Eheschließungen mit Ausländern zu geben. In dem Büro sitzt eine Frau Mitte vierzig, deren ergrauendes |361| Haar zu einem Knoten zusammengefasst und deren Gesicht so rund und rosig ist wie das meiner provinziellen Tante Musa.
    »Welche Unterlagen sind für eine Heirat mit einem ausländischen Bürger erforderlich?«, frage ich nervös, wobei meine Stimme von der fünf Meter hohen Zimmerdecke widerhallt. Einst war dieses Gebäude das Zuhause eines Fürsten oder Prinzen.
    »Welches Land?«, fragt die Frau und sieht mich prüfend an, als versuche sie, die Antwort zu erraten.
    »Se-Sch-Aa«, sage ich   – die einzelnen Laute zischen aus meinem Mund, wobei sie im Russischen noch schärfer klingen als im englischen »USA«.
    Die Frau blinzelt und wendet sich meiner Mutter zu, wie um eine Bestätigung dieser Behauptung einzuholen, die seit dem 25.   Dezember, als es unserer Regierung gelang, den amerikanischen Bestrebungen, sich Afghanistan einzuverleiben, zuvorzukommen, umso ungeheuerlicher klingt. Meine Mutter hält ihrem Blick stand und seufzt.
    Die Frau bekundet meiner Mutter ebenfalls seufzend ihr Mitgefühl für ihr stummes Leid, tritt hinter ihrem Schreibtisch hervor und bleibt vor mir stehen. »Meine Liebe«, sagt sie und reckt den Hals, um mir ins Gesicht zu blicken. »Sie haben sich verliebt, stimmt’s? In jemanden aus einem fernen Land?« Sie lächelt ein mütterliches Lächeln   – zu mütterlich   –, aber ich darf ihr nicht zeigen, was ich denke. Ich weiß, ich muss das Spiel mitspielen und auf ihr Stichwort antworten. Ich weiß, dass mein Schicksal von nun an in ihren Händen liegt.
    Ich lächle verlegen und nicke.
    Die Frau tritt zurück, hebt ihr Kinn und nimmt Haltung an, um eine wichtige Mitteilung zu machen. »Also, die Vorschriften für kapitalistische Länder sind in der Tat identisch mit denen für sozialistische Staaten«, sagt sie. »Auf diesem Gebiet |362| machen wir keine Unterschiede. Heirat ist Heirat, und die Frau sollte ihrem Mann ganz gleich wohin folgen.« Ich bin erleichtert über diese mittelalterliche Weisheit, allerdings klingt sie für eine offizielle Richtlinie eine Spur zu entgegenkommend, zu verdächtig einfach.
    »Sie und Ihr Verlobter müssen hier höchstpersönlich einen Antrag ausfüllen.« Sie gibt die Vorschriften mit Verve wieder, als wären es Verse aus Puschkins Gedichten. »Sie benötigen Ihren Pass, Ihre Meldebestätigung in Leningrad, Ihre Geburtsurkunde. Er benötigt seinen Pass und sein Visum. Dann warten Sie drei Monate.«
    »Warten?«, frage ich. »Warten worauf?«
    »Wir gewähren Ihnen diese Frist für den Fall, dass Sie es sich doch noch anders überlegen«, sagt sie lächelnd.
    »Aber wir sind sicher, dass wir es uns nicht anders überlegen werden«, sage ich.
    »Dann kommen Sie in drei Monaten wieder und lassen Ihre Eheschließung eintragen«, sagt die Frau und neigt den Kopf, um das Wohlwollen der staatlichen Vorschriften zu unterstreichen. »Alle beide. Höchstpersönlich.«
    »Aber das heißt, dass er noch mal hierherreisen muss«, sage ich mit unfreiwillig erhobener Stimme. »Ganz aus Amerika. Ganz aus Texas!«
    Die Frau zuckt mit den Schultern, denn so etwas hört sie nicht zum ersten Mal. »Was soll ich machen?«, sagt sie und tut so, als hätte sie Mitgefühl mit mir, während sie mit meiner

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