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Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
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Mutter Blicke wechselt. »Vorschriften sind eben Vorschriften.«
    »Dann wird er also im März noch mal herkommen müssen«, sagt meine Mutter, wobei in ihrer Stimme die Hoffnung mitschwingt, dass er das womöglich nicht tun würde.
    »Können wir nicht in zwei Wochen wiederkommen?«, frage |363| ich sinnloserweise, da ich die Antwort kenne. »Er bleibt nur noch zwei Wochen.«
    Die Frau geht zurück an ihren Schreibtisch und blickt in einen Kalender. »Am siebenundzwanzigsten März«, sagt sie. »Das heißt, sofern Sie morgen mit allen nötigen Unterlagen hier erscheinen, alle beide.«
     
    »Am siebenundzwanzigsten März?«, fragt Robert. »Können wir nicht in zwei Wochen hingehen? Oder in einem Monat? Ich kann bis Ende Januar hierbleiben.«
    »Das hier ist die Sowjetunion«, sage ich mit feierlicher Stimme, in der Hoffnung, damit alles zu erklären. »Wir sollten dankbar sein, dass sie es überhaupt genehmigen.«
    Ich weiß nicht, ob Robert der Meinung ist, dankbar dafür sein zu müssen, dass er hier den kältesten Winter seit der Belagerung Leningrads verbringen und in harter Währung für das heruntergekommene, ungeheizte Studentenwohnheimzimmer zahlen muss. Ich weiß nicht, ob er der Meinung ist, dankbar dafür sein zu müssen, dass er eine weitere Reise hierher, mit Visum und allem, arrangieren muss, wo doch das sowjetische Konsulat in New York wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan gerade geschlossen worden ist. Er reibt sich die Wange, sitzt da und denkt nach.

|364| 19
HOCHZEIT
    In den drei Monaten vor unserer geplanten Hochzeit schmiede ich keinerlei Pläne, denn ich glaube nicht daran, dass sie tatsächlich stattfinden wird. Im Geiste habe ich mir ausgemalt, was alles schiefgehen könnte: Robert besinnt sich eines Besseren; die sowjetische Botschaft verweigert ihm sein Visum, wenn sie erfährt, dass er eine sowjetische Bürgerin zu ehelichen gedenkt; der Grenzschutz nimmt ihn fest, sobald er sowjetischen Boden betritt.
    Ich gehe wie gewöhnlich zur Arbeit, gebe Unterricht und plaudere mit Natalija Borisowna, als würde nicht bald etwas geschehen. Ich frage sie um Rat, wie sich die Sprachfertigkeit fördern ließe, und sie berichtet mir hinter vorgehaltener Hand den allerneuesten Klatsch über die Sekretärin des Fachbereichs, die einen Georgier heiraten und nach Tiflis ziehen wird. Ich möchte lieber nicht wissen, was sie sagen würde, wenn ich ihr erzählte, dass ich einen Amerikaner heiraten und nach Texas ziehen werde. Vielleicht würde sie gar nichts sagen; es würde ihr wahrscheinlich die Sprache verschlagen.
    Ob ich wohl tatsächlich einen Amerikaner heiraten und nach Texas ziehen werde? Ich fühle mich wie damals mit elf Jahren, als ich auf einem Sprungbrett stand, kurz bevor ich wegen mangelhafter Schwimmkünste aus dem Bezirksbad geworfen |365| wurde, mit zehn Metern Leere zwischen meinen Zehen und dem grünen Wasser unter mir, das so klar und hart war wie Glas. Ich hatte nicht den Mumm zu springen, habe mich jedoch seither immer wieder gefragt, wie es wohl gewesen wäre, diesen Schritt nach vorn zu machen, durch die nach Chlor riechende Luft zu stürzen und in das Wasser zu platschen, das sich nur widerstrebend teilen, mich verschlucken und sich dann in weißen Schaumkappen über meinem Kopf wieder schließen würde.
    An manchen Tagen hege ich nicht den geringsten Zweifel und bin zuversichtlich, dass ich tatsächlich heiraten und fortziehen werde, dass für mich in wenigen Monaten ein neues Leben beginnt. An anderen Tagen bin ich weniger überzeugt. Dann muss ich mich im Spiegel betrachten, um mich zu vergewissern, dass diese Person, die in ein und demselben Satz von »Amerika« und »Hochzeit« spricht, wirklich ich bin. Abgesehen davon, dass die Häftlinge Jeans tragen, weiß ich nichts über Amerika. Ich weiß, was mir wahrscheinlich nicht zustoßen wird: Ich werde nicht, wie meine Mutter Marina in der Küche zuflüstert, unter einer Brücke schlafen; ich werde nicht auf der Straße betteln, wozu die Amerikaner den Nachrichten zufolge gezwungen werden   – von wem? Ich werde nichts von all dem tun, wovor unsere Presse und etliche Plakate, auf denen dickwanstige Männer mit Zylindern über die in Ketten liegenden, zusammengekauerten Arbeiter hinwegtrampeln, uns warnen. Ich weiß, dass all das gelogen ist. Aber was ist die Wahrheit? Das Einzige, was ich bislang sagen kann, ist, dass diese Häftlinge in Jeans offenbar kein allzu schlechtes Leben haben.
    Nur manchmal, wenn ich

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