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Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
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interessiert sich |251| Walja für die verlässlichste Verhütungsmethode. Ljuba schüttelt den Kopf und verlässt, entsetzt über ihre Schamlosigkeit, den Raum. Ich bin neugierig, deshalb bleibe ich.
    »Zement«, sagt Sascha. »Alle Öffnungen zuzementieren, dann geht garantiert nichts durch.«
    Walja prustet los und gibt Sascha mit ihrer breiten Hand einen Klaps auf den Rücken. Ich fahre enttäuscht damit fort, das Rückenmark von Kaninchen auf Glasplättchen aufzutragen. Ich hatte mir ehrlich gesagt etwas mehr Informationen erhofft.
    Als ich nach Hause komme, herrscht helle Aufregung: Marina sucht händeringend nach einem Geburtstagsgeschenk für den musikalischen Leiter ihres Theaters. Die Feier findet am nächsten Montag statt, und sie ist ganz verzweifelt. »Für Männer findet man einfach keine Geschenke«, verkündet sie. »Wodka ist zu prosaisch und guter Cognac nicht aufzutreiben.«
    »Schenk ihm ein Buch«, sagt meine Mutter mit ihrer Lehrerinnenstimme.
    »Er hat bereits ein Buch«, sagt Marina mit ungerührter Miene, obwohl wir alle wissen, dass es ein alter Witz ist, so alt, dass der posthum rehabilitierte Onkel meiner Mutter, Onkel Wolja, ihn bereits anno 1937 erzählte. »Das Einzige, was mir einfällt, ist etwas für seine Sammlung.«
    »Was sammelt er denn?«, frage ich.
    »Kaninchen«, sagt Marina. »Lauter Kaninchen   – aus Glas, Porzellan, Holz. In allen Größen.«
    Demnach liegt es auf der Hand, was sie ihm unbedingt schenken muss. Es kann kein Zufall sein, dass der musikalische Leiter Kaninchen sammelt und in der Anatomischen Fakultät, in der ich arbeite, tonnenweise Kaninchen in rostigen Käfigen hocken und darauf warten, zu statistischen Größen für Saschas quantitative Studien verarbeitet zu werden. Ich bin sicher, dass meine Idee großartig und unschlagbar ist. Ich bin von meinem |252| genialen Einfall ganz hin und weg und kann ihn nicht länger für mich behalten. »Ein lebendiges Kaninchen!«, bricht es aus mir hervor. »Schenk ihm doch ein Kaninchen aus unserem Labor!«
    Meine Mutter wirft mir einen fragenden Blick zu, unsicher, ob ich es ernst meine, unsicher, ob es ratsam ist, ein Kaninchen aus dem Anatomielabor zu entfernen.
    »Ja, doch, ein lebendiges Kaninchen!«, sprudele ich hervor und verschlucke mich an meinen eigenen Worten. »Du wirst ein einzigartiges Geschenk haben   – und wir retten ein Kaninchen davor, zentrifugiert, mit Äther eingeschläfert und in Scheiben geschnitten zu werden.«
    Ich sehe, wie meine Mutter zögert, und bringe mein letztes Argument vor. »Wir haben im Moment sowieso zu viele Kaninchen; wir hatten gerade Inventur«, sage ich. Das mit der Inventur ist geschwindelt. »Gestern hat Sascha gesagt«, setze ich hinzu, »wir sollten sie zum Mittagessen schmoren.«
    Jetzt leuchten auch die Augen meiner Schwester vor Begeisterung. Angesichts unserer vereinten Kräfte hat meine Mutter keine Chance.
    Am Montag gehen meine Schwester und ich ins Kellergeschoss der Anatomischen Fakultät, in dem Reihen dunkler, stinkender Käfige stehen, und suchen ein dreifarbiges Kaninchen aus   – schwarz, weiß und gelb   –, ein Symbol für Glück, wie meine Schwester beteuert. Das Kaninchen raschelt in dem gefalteten Zeitungspapier, als Marina es in ein Einkaufsnetz steckt, um damit im Bus quer durch die Stadt zu fahren.
    Ich stelle mir vor, wie Marina mit dem Kaninchen im Einkaufsnetz bei der Geburtstagsfeier auftaucht. Ich male mir die allgemeine Bestürzung und Aufregung aus; das vor Schreck wie gelähmte Kaninchen, das sich gegen den Parkettboden drückt; die Fülle der um das Kaninchen kreisenden Trinksprüche; die Hände, die das Kaninchen streicheln und halten, bis es in äußerster |253| Panik auf jemandes Kleid pinkelt; die leere Wohnung mit Zigarettenrauchschwaden über den Abendessensresten und das halb bewusstlose Kaninchen, das in der Ecke eines dunklen Flurs nach Luft japst.
    »Bist du sicher, dass er mit einem lebendigen Kaninchen umgehen kann?«, frage ich, doch sehe ich nur noch Marinas Rücken, der hinter einer sich schließenden Tür verschwindet.
     
    Zu Beginn meines zweiten Studienjahres nimmt mich meine Englischdozentin Natalija Borisowna beiseite und sagt, es gebe im
Haus der Freundschaft und des Friedens
, in dem ich in der achten Klasse als Fremdenführerin gearbeitet habe, eine freie Stelle. Gesucht werde eine Sekretärin für den Direktor. Englisch müsse man zwar nicht sprechen, aber mit der Zeit und ein wenig Glück, betont die

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