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Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
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Auto sparen oder Shrimps probieren.
    Die britischen Schüler mit ihren
Berjoska
-Souvenirs und gewaschenen Haaren würden morgen in Busse steigen und abreisen. Obwohl ich eine Postkarte von Kevin bekomme, die Antwort auf meinen langen, elegant komponierten und fein säuberlich auf einen Bogen schönes Papier übertragenen Brief, sollte ich ihn nie wiedersehen. Morgen früh würde er, bewacht von der bewaffneten Grenzstreife des Internationalen Flughafens Pulkowo, Peter des Großen »Fenster nach Europa« durchschreiten. Morgen Nachmittag würde er auf dessen anderer Seite heraustreten   – in London, der Stadt der Kontraste.
    Ich danke Kevin mit allen nur erdenklichen Wendungen, die mir auf Englisch einfallen, doch tief in meinem Inneren lässt mir wie eine undankbare Katze eine peinliche Frage keine Ruhe. Was wäre mir lieber, ein silbernes Armband oder Bulgakows Roman ›Der Meister und Margarita‹? Ich schüttle mein inzwischen mit kaltem Silber gefesseltes Handgelenk. »Ganz wunderbar«, sage ich zu Kevin, der denkt, dass ich aufrichtig bin, und nicht ahnt, dass dies nur ein kleines Beispiel für
wranjo
ist.

|244| 14
ARBEIT
    Ich bin siebzehn und habe mich vor Kurzem an der Leningrader Universität für den Abendkurs im Fach Englisch eingeschrieben. Zum Tagesprogramm, für das ich mich eigentlich beworben habe, wurde ich nicht zugelassen, weil meine Eltern beide Akademiker sind und meine Familie nicht die nötigen Beziehungen hat. Ich fühlte mich an meine Mutter erinnert, die warten musste, bis die Tochter einer Melkerin ausschied, um an der Medizinischen Hochschule von Iwanowo zugelassen zu werden, da mein Großvater damals bereits Ingenieur und nicht länger Bauer war. Ich fand es bezeichnend, dass sich in unserem universitären Zulassungssystem trotz der Riesenschritte in Richtung einer besseren Zukunft auf anderen Gebieten seit 1930 nichts geändert hatte.
    »
Net chuda bes dobra
: Jedes Übel hat sein Gutes«, rezitierte meine Mutter einen ihrer weisen Sprüche, als ich wiederholte, was meine Englischdozentin in unserer ersten Unterrichtsstunde gesagt hatte. »Der Abendkurs ist viel besser, weil ihr alle qualifiziert seid«, hatte sie verkündet. »Ihr seid hier, weil ihr Englisch könnt, nicht weil eure Mutter einen Traktor fährt oder euer Vater in einem Smolni-Büro hockt.« Es gab mir ein gutes Gefühl, dermaßen qualifiziert zu sein, dennoch ärgerte ich mich über das Zulassungsgremium der Universität.
    |245| Allerdings brauche ich jetzt auch eine Arbeit, und zwar sofort: Von den Abendkurs-Studenten wird verlangt, dass sie tagsüber arbeiten. Bis Ende September muss ich dem Dekan ein Schreiben mit Unterschrift und Stempel vorlegen, demzufolge ich einer Vollzeitbeschäftigung nachgehe.
    Die Aussicht, eine Arbeit zu haben, begeistert mich. Sie holt mich aus dem Planschbecken meiner Klassenkameraden und wirft mich über dem Meer der Erwachsenen ab, wodurch ich auf der Stelle zu einer mündigen Bürgerin mit echter, bezahlter Verantwortung werde. Dabei klingt nicht etwa die Verantwortung so verlockend als vielmehr der Status und die Rechte, die mit der Arbeit einhergehen. Es ist das Gefühl, endlich im echten Leben anzukommen, das so verheißungsvoll am Horizont schimmert, das Gefühl, dass alles Vorherige bloße Erwartung war, eine Reihe von Meilensteinen auf dem Weg zu diesem Horizont.
    »Ich gehe zur Arbeit«, würde ich ganz beiläufig sagen, wenn ich dem gut aussehenden Witja aus dem dritten Stock begegnete, der mit seinen sonst so desinteressierten Augen blinzeln und mir in sprachloser Bewunderung hinterherstarren würde.
    Ich weiß nicht, wie man eine Arbeit findet, aber das macht nichts: Meine Mutter kümmert sich darum. Daraufhin bietet mir Alex, ein Nachbar aus dem zweiten Stock, eine Stelle an.
    »Du wirst Zeichnerin«, sagt meine Mutter.
    »Aber ich kann doch gar nicht zeichnen«, entgegne ich, weil ich mir sofort ausmale, wie ich unseren großzügigen Nachbarn gleich am ersten Arbeitstag in Verlegenheit bringen werde.
    »Du brauchst nichts zu können. Sie werden dir zeigen, was du zu tun hast. Soviel ich weiß, wirst du Blaupausen kopieren.«
    »Blaupausen wovon?«
    Meine Mutter hält inne und tut so, als würde sie das Besteck |246| in der Schublade sortieren. »Es ist eine geheime Fabrik«, sagt sie. »Sie bauen Schiffe.«
    »Schiffe?«, kichere ich. »Was für Schiffe? Atom- U-Boote ? Wahrscheinlich bauen sie Atom- U-Boote , warum sollte es sonst so geheim sein?«
    »Ich weiß es

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