Google-Mitarbeiter Nr. 59
rund um die Uhr geöffneten Imbiss. Die Googler drapierten sich auf den Sofas, um Zeitung zu lesen, oder sie hüpften auf Bällen herum, während sie Mangosaft tranken und mit der Rezeptionistin plauderten. Es war unser Gemeinschaftswohnzimmer und unsere Luftschleuse zur Außenwelt.
Der Raum wurde nicht immer mit Respekt behandelt. Irgendwann zerbrach ein Techniker das leuchtende Google-Logo, als er ausprobierte, ob er den knapp einen Meter großen Gummiball mit einem Schuss von der Lobby in den ersten Stock befördern konnte. »Warum gibt es hier keine Schilder: ›Nicht mit Bällen schießen?‹«, meckerte er hinterher.
Sergey entschied, dass wir ein Klavier brauchten, um der Lobby einen Hauch Klasse zu verleihen, und wies George an, ein Digitalpiano zu kaufen, das von allein spielen konnte, wenn keine Mitarbeiter in der Nähe waren, um die Tasten zu bewegen.
Eines Nachts, so gegen 2 Uhr früh, hörte ich das Klavier plötzlich sehr laut spielen. Ich ging hinunter, um es abzuschalten, da sah ich Salar im Dämmerlicht an dem Klavier sitzen. Er jagte durch ein Chopin-Scherzo und erfüllte den Raum mit der Arbeit seiner hektischen Finger. Ich stand da und sah zu, wie er fehlerlos die Töne anschlug, der Klang von den Wänden, den Fenstern und Möbeln prallte, als wolle er ausbrechen und über die mondbeschienene Sumpflandschaft draußen vor der Tür aufsteigen. Das Stück kam mir bekannt vor. Dann erkannte ich, dass es nicht die Melodie war, sondern das Tempo – diese rasende Geschwindigkeit, diese ungebremste Vorwärtsbewegung – die ich nur allzu gut kannte. Es fühlte sich an, als würde Google durch die Nacht jagen, stets einer Chance auf der Spur.
Ent-spannende Entwicklungen
»Komm rein«, sagte Babette. Sie saß am Computer und schaute auf ihren Kalender. »Zieh so viele Kleidungsstücke aus, wie du magst, und leg dich auf den Bauch.« Sie stand auf und ging zur Tür. »Ich bin gleich wieder zurück.«
Die Bürotür mit dem Schild »Googlers werden hier massiert« sah aus wie jede andere im Plex, aber es war die einzige, hinter der es offiziell okay war, nackt zu sein. (Googles offizieller Dresscode lautete: »Du musst angezogen sein.«) An einer Wand hing ein riesiger Druck der Konzentrischen Kreise von Kandinsky. An einer anderen hing eine anatomische Zeichnung des menschlichen Muskelsystems. Vor dem großen Fenster mit Blick auf das Gewerbegebiet hing ein beigefarbener Vorhang. In einer gelben Lavalampe, die vom Fußboden aus glühte, schwammen vielgestaltige organische Formen.
Ich war nie zuvor in einem Büro nackt gewesen. Es fühlte sich komisch an, als würde ich einen Teil von mir entblößen, der nicht zur Firma gehörte und sie einlud, Hand daran zu legen. Nur ein weiterer Fall, bei dem Google die Mauer zwischen meinen Berufsleben und meinem privaten Ich niederriss. 32 Dennoch gehörten die Massagen zu den besten Bestandteilen meiner Arbeit in dieser Firma. Googles Energieintensität und die noch höheren Erwartungen verliehen meinem angestauten Stress seinen eigenen einzigartigen Duft und der Nachschub schien nie zur Neige zu gehen. Massage war die beste Art und Weise, meine verkrampften Schultern und den verspannten Rücken zu lockern und mein nächtliches Zähneknirschen zu reduzieren.
Larry und Sergey gewährten uns Bonnie Dawson und Babette Villasenor, um die Knoten im Nacken, von der gebeugten Haltung am Computer, und die Schmerzen in den Fingern, die sich an der Tastatur krümmten wie bei Gollum, der nach dem Ring des Sauron scharrte, zu lösen. Es war nicht so, dass die Gründer auf besondere Weise immun gegenüber der Anspannung waren. Man fand ihre Namen oft auf dem Terminplan der Masseurinnen, und wenn du wolltest, dass sie bei einem Meeting dabei waren, dann war es umsichtig, einen Blick auf den Massageplan zu werfen, damit du nicht von ihrem Bedürfnis, durchgeknetet zu werden, verdrängt wurdest.
Einmal hat Larry ein Meeting abgeblasen, das ich Wochen zuvor anberaumt hatte, weil plötzlich ein Massagetermin frei wurde. »Du verstehst das, nicht wahr?«, hatte er mich entschuldigend gefragt. Ich tat es.
Das Angebot der kostenlosen Massage währte nicht lange. Die Nachfrage überstieg bald das Angebot, sogar nachdem die Firma angefangen hatte, einen symbolischen Betrag dafür zu verlangen. Um den Rückstau aufzufangen, wurden Grenzen gesetzt, wie weit man Massagetermine im Voraus buchen konnte. Außerdem war der Terminkalender so geöffnet, dass Tag- und Nachtarbeiter
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