Google-Mitarbeiter Nr. 59
Deutsche Ergebnisse waren ziemlich lustig. Davon abgesehen überwog das positive User-Feedback zu MentalPlex bei Weitem das negative.
Um 2 Uhr morgens kroch ich in mein Bett. Ich fiel in einen monochromen Traum über Deutsche in Lissabon und einem Polizisten, der mich zweifelnd ansah und fragte: »Geschlossen? Aber alle haben doch so viel Spaß!«
Am nächsten Morgen hatte ich einen gefühlsmäßigen Kater. Ich hatte einen Witz vom Stapel gelassen, der funktionierte. MentalPlex passte perfekt zu Googles unkonventionellem Stil. Sergey hatte die ganze Zeit recht gehabt – es war okay, mit unserer Marke zu spielen. Aber der Fehler, das Ergebnis-Interface in andere Sprachen zu übersetzen, war mir peinlich. Es beunruhigte mich, dass es von meinen Kollegen keinem peinlich war.
Warum war es so mühsam gewesen, die Sache zu ändern, nachdem die Beschwerden angefangen hatten, einzutrudeln? Warum wurde entschieden, auf Portugiesisch umzusteigen? Wer hatte das überhaupt entschieden? Was war meine Rolle als Markenmanager, wenn es nicht das Managen der Marke war? Allmählich verstand ich, wo bei Google die wahre Macht zu finden war. Sie steckte in den Tastaturen jener, die autorisiert waren, eine neue GWS anzuschieben, die das Programm eingaben, welches die Site betrieb. Diese Techniker waren die ultimativen Torwächter. Selbst wenn ich grünes Licht hatte, ein Projekt zu verfolgen, konnte jemand mit einer anderen Idee und der Hand am Schalter unseren Kurs mitten in der Nacht ändern – und mich 100 Meilen entfernt von der Stelle aufwachen lassen, an der ich mich zu befinden glaubte, als ich zu Bett ging. MentalPlex hätte uns beinahe entgleisen lassen.
Sobald ich Montagmorgen im Büro war, schrieb ich ein postmortales Memo, um zu verhindern, dass so etwas noch einmal passierte. Ich bezog sämtliche Daten ein, die ich aus den 600 E-Mails zusammentragen konnte, die wir erhalten hatten. 70 Prozent mochten MentalPlex. Bei den übrigen 30 Prozent beschwerten sich die meisten darüber, dass das Interface in eine andere Sprache übersetzt worden war. Mein Memo statuierte die Lehre, dass wir den Usern niemals, niemals absichtlich die Suche erschweren sollten. Ich setzte einen Entschuldigungsbrief für jene Google-User auf, die sich beschwert hatten, und schickte ihnen gratis Google-T-Shirts. Der Albtraum war vorbei. Wir hatten die verdiente Strafe bekommen und aus unserem Fehler gelernt. Jetzt konnten wir weiterrollen.
»Nicht notwendigerweise«, wandte Marissa ein.
»Dass wir das Interface ins Deutsche übersetzt haben, war nicht das Problem«, sagte sie, »sondern dass wir die Aufmerksamkeit auf die Veränderung gelenkt haben, indem wir einen ›Tipp‹ einfügten, dass MentalPlex deutsches Gedankengut aufspüren könne.« Wenn wir eine Erklärung auf die Seite gestellt hätten, dass es sich dabei um einen Scherz handle, hätte sich ihrer Meinung nach niemand aufgeregt.
»Ohne den Tipp wäre den meisten Usern die Übersetzung gar nicht aufgefallen«, stimmte ein anderer Techniker zu. »Nur der Navigationstext war auf Deutsch – die Suchergebnisse waren nach wie vor auf Englisch.«
Wie sollten die User nicht merken, so fragte ich mich, dass sämtlicher Text aus den Ergebnissen nicht mehr auf Englisch erschien? Und am Fußende einen Hinweis einzufügen, dass es sich um einen Scherz handle, hätte das Problem nicht gelöst und wäre gleichzeitig das Zugeständnis, dass der Witz zu schwach sei, um ohne Erklärung zu funktionieren. Jonathan Swift benutzte selten Sternchen, um darauf hinzuweisen, dass eine Textstelle satirisch gemeint war.
Marissa und ich blieben uneins, was MentalPlex anging. Sie stellte meine Kategorisierung der User-Feedbacks selbst dann noch infrage, nachdem ich ihr die Mails zukommen ließ. Mir standen eindeutige, unbestreitbare, objektive Fakten zur Verfügung, dennoch stimmten wir grundsätzlich nicht überein, wie diese Daten zu interpretieren seien. Mir lag nicht daran, jemandem die Schuld zu geben, aber ich wollte sicherstellen, dass wir aus unserem Fehler gelernt hatten und ihn nicht wiederholen würden. Dazu mussten wir uns aber einigen, worin der Fehler überhaupt bestand.
Omid Kordestani, Leiter Vertrieb und Geschäftsentwicklung, gab seine Meinung zum Besten. »Total amateurhaft!«, beschwerte er sich. Und damit meinte er MentalPlex von Anfang bis Ende. Omid hatte MentalPlex nicht kommen sehen, und als es ihn am 1. April eiskalt erwischte, reagierte er wütend. Der ruhige, lächelnde,
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