Google-Mitarbeiter Nr. 59
ausgewogene Omid verhöhnte unseren Scherz als bestens geeignet, jene Inserenten zu vergraulen, deren Wohlwollen sein Team mühsam aufgebaut hatte. Und hatten wir überhaupt an die internationalen User gedacht, die unseren durch und durch amerikanischen Vorstoß auf den Humor überhaupt nicht verstehen würden?
»Hoffentlich war das eine einmalige Aktion«, rügte er uns. »Gott sei Dank passierte es an einem Freitagabend.« Omid konnte nur eine gute Seite daran sehen. Portalsites wie Yahoo, die dachten, wir könnten mit ihnen konkurrieren, würden sich wegen uns nicht länger den Kopf zerbrechen. Mit diesem unreifen Schwachsinn würden wir ihnen bestimmt keine User abspenstig machen. Wir seien kein Stanford-Schlafsaal-Projekt mehr, erinnerte uns Omid. Wir betrieben eine ernst zu nehmende Firma und diese Aktion kam daher wie ein Streich, den man unter Alkoholeinfluss den Studienanfängern spielt. Vermutlich dachte er an seine Zeit bei Netscape zurück – ein Unternehmen, das an ausgeprägter Selbstüberschätzung litt, bis ein riesiger Stiefel sie zurück in die Realität beförderte.
»Mach dir keine Sorgen, Omid«, beruhigte Sergey ihn. »Von Zeit zu Zeit tun wir törichte Dinge, aber nicht aufs Geratewohl und für gewöhnlich mit positiven Ergebnissen.« 38
Ich wies Omid auf die vielen positiven Feedbacks unserer User hin, aber Cindy ließ mich wissen, dass der Schuss voll danebengegangen sei. Omid sei Stakeholder und hätte eingeweiht werden müssen. Noch eine Lektion, die ich auf die harte Tour gelernt hatte. Aber zumindest, so beruhigte ich mich, würde mir dieses Erlebnis Antrieb zu einer formelleren Vorgehensweise geben. Das würde die Late Night Pusher ins Taumeln bringen und ihre unpassenden Improvisationen stoppen. Schön wär’s.
Obwohl niemand sonst eine Lehre aus dem MentalPlex Missgeschick zu ziehen schien, fand ich im Staub des sterbenden Tohuwabohus eine Offenbarung. Ich konnte Googles Brand aus dem Produkt selbst heraus aufbauen. Ich musste mich nicht auf Werbebanner oder Postkartenprogramme stützen. Googles Persönlichkeit würde so durchscheinen, wie wir – wie ich – mit den Usern redeten. Ich konnte alles ausprobieren, denn die einzigen beiden Typen, die mir dabei über die Schulter sahen, zeigten bemerkenswert wenig Hemmungen. Das war ein befreiender Moment.
Ich besaß Googles Worte. Nun würde ich ihnen eine Stimme verleihen.
Extrem verwirrend
Die Google-Zeit war nachgiebig wie ein gehärtetes Samuraischwert. Bei Google liefen so viele Aktivitäten gleichzeitig, dass die lineare Erzählstruktur dieses Buches die immense 3D-Erfahrung zu einer unkenntlichen Form verflacht. Vielleicht würden Sie ein stimmigeres Gefühl davon bekommen, wie es wirklich zuging, wenn Sie alle Seiten aus dem Buch herausreißen, sie in die Luft werfen und dann in der zufälligen Reihenfolge lesen, wie sie zu Boden geflattert kommen. Seit fünf Monaten gehörte ich jetzt zur Firma und jede Stunde jedes Tages entwurzelte sich eine weitere Nervenbahn in meinem Gehirn und verfolgte eine neue Route mit unvorhergesehenem Ziel.
»Ich habe ein paar Zeilen verfasst, die wir auf die Homepage setzen können«, erzählte ich Larry und Sergey während des Product Review. »Sie sollen wiederholten Datenverkehr animieren, indem sie gegenüber Erst-Usern unsere Qualität bekräftigen. Hier ist die Aufzählung.«
Sergey blickte nicht von dem neuen Telefon hoch, das er offenbar systematisch auseinandernahm.
»Wie definierst du Erst-User?«, fragte Larry. »Was ist, wenn sie die Cookies ausgeschaltet haben?« Er blickte auf das Dutzend Textzeilen, die der Projektor ordentlich auf die Leinwand warf. »Warum verwendest du nicht das Testimonial aus dem Time Magazin?«, fragte er, bevor ich seine erste Frage beantworten konnte. »Ich glaube nicht, dass irgendetwas hiervon viel bringen wird.«
Sergey hob den Kopf und starrte Larry an. Der zog eine Braue hoch und sagte:
»Du musst das viel zwingender formulieren. So wie ›Wenn Sie sämtliche Sucherergebnisse von Google ausdrucken, würde der Papierstapel von hier bis zum Mond reichen.‹«
Sergey lächelte und lehnte sich in seinen Sessel zurück.
»Nein«, widersprach er.
Wieder zuckte Larrys Augenbraue nach oben.
»Was wir tun müssen«, fuhr Sergey fort, »ist, Dinge zu testen, die absolut zufällig sind, um zu sehen, was die größte Wirkung bringt.« Seine Braue schien mit der von Larry zu kommunizieren und Larrys ging noch ein Stück höher.
Die beiden starrten
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