Google-Mitarbeiter Nr. 59
schwollen von einem leisen Flüstern über eine schrille Tirade an zu einer kreischenden Katzenmusik der beharrlichen Empörung, die nicht ignoriert werden konnte. Bis 10 Uhr stand eindeutig fest, dass für viele von Googles weltweiter Userschar Witze über Deutschland und Gedankenkontrolle nicht witzig waren. Ich mailte Susan an, die in ihrem Büro immer noch die Feedbacks überwachte, und schlug vor, den deutschen Teil loszuwerden. Sie hatte das Problem bereits identifiziert und rief Sergey an. Er gab sein Okay, die deutsche Fehlermeldung zu entfernen. So weit, so gut. Die winzige Störung war behoben.
Abgesehen davon, dass es Freitagabend war. Die gesamte Technikerbelegschaft war mit Sergey unterwegs und spülte im Zibbibos, einem trendigen Restaurant 20 Minuten von Palo Alto entfernt, sämtlichen Kummer der vergangenen Woche herunter. Niemand im Büro war autorisiert, eine derartige Änderung vorzunehmen. Ich saß zu Hause und sah zu, wie immer mehr Mails eingingen. Beschwerden über Deutschland, deutsche Ansichten und deutsche Witze fielen wie Bomben in meinen Posteingang und explodierten dort. In meinem Nacken bildeten sich kleine Eiskügelchen und rollten dann die Wirbelsäule hinab.
Eine halbe Stunde verstrich. Dann noch eine. Wir kassierten per E-Mail eine Tracht Prügel. Schließlich kamen die angriffslustigen Deutschen zum Stillstand. Dank irgendeines anonymen Technikers verwirrten keine ungewollten deutschen Ergebnisse mehr unsere User. Jetzt kamen die ungewollten Ergebnisse auf Portugiesisch. Die Techniker fanden den Witz zu lustig, um ihn komplett zu löschen, also übertrugen sie das Interface in eine andere Sprache. Die User mögen kein Deutsch? Na schön, dann geben wir ihnen etwas anderes.
»Nein! Nein! Nein! «, sagte ich ihnen. Das Problem war nicht die Sprache, sondern wie schwierig es das fremdsprachige Interface gestaltete, unsere Ergebnisse zu nutzen. Wir ruinierten unsere Marke, und statt die Risse zu flicken, fanden sie es amüsanter, zuzusehen, wie sich unser Marktwert auf den Boden ergoss. Ich hatte früher bereits PR-Krisen durchlebt, aber das hier entwickelte sich zu einem sabakova kashmar. 37
Die Beschwerden hielten an. Der Ton war zwar nicht so giftig, wie er es gewesen war, als der deutsche Text gezeigt wurde, aber die User waren immer noch unzufrieden, weil es schwierig war, durch die Seite zu navigieren. Wir brachen eine unserer Hauptregeln, indem wir es den Usern erschwerten, zu der Information zu gelangen, die sie haben wollten. Eine Userin beschwerte sich sogar, dass unser kleiner Witz ihr Geld verschwende. Sie sei professionelle Researcherin und könne Google nicht länger nutzen, um ihre Arbeit zu tun.
Ich habe lange genug bei Großunternehmen gearbeitet, um zu zögern, bevor ich das Problem bis zu unserer Führungsspitze eskalieren ließ. Aber ich arbeitete schon lange genug bei Google, um mich nicht von einem Organigramm einschüchtern zu lassen. Ich rief Sergey an. Er war bei dem Hintergrundlärm der ausgelassenen Techniker in dem überfüllten Restaurant kaum zu verstehen. Dennoch merkte ich, wie überrascht er war, als ich darauf bestand, die fremdsprachigen Ergebnisse abzuschalten.
Ich wurde zur Spaßbremse, aber Sergey stimmte zögernd zu. Vermutlich tat er das vor allem, um weiterfeiern zu können und keine weiteren Störungen fürchten zu müssen.
Es dauerte ewig, bis ich Susan erreichte. Und bis endlich alle fremdsprachigen Texte von der Site verschwunden waren, war es Mitternacht.
»Ein nicht unbeträchtlicher Anteil unserer User sind Schwachköpfe«, schimpfte einer der Techniker, »wenn sie nicht herausfinden können, wie man eine Site nutzt, nur weil alles auf Portugiesisch ist.« Google hatte zweifellos den Graben vom Beliefern einer technischen Elite zum Mitspielen auf dem Markt für die breite Masse – ein Online-Segment, von dem er wusste, dass es dicht mit Ahnungslosen bevölkert war – überquert.
»Besorgniserregender finde ich, dass wir uns von einem winzigen negativen Feedback kopfscheu machen lassen«, sagte Howard, der bilderstürmerische Easy-Rider-Techniker. »Wir haben die Verspieltheit aufgegeben, die ein wichtiger Teil von Google ist. Wir haben unseren 1. April-Witz verwässert, damit er weniger aggressiv daherkommt. So etwas passiert wohl, wenn wir erwachsen werden – wir werden eine konservativere Firma.« In seinen Augen war das keine positive Entwicklung.
Sergey stimmte stillschweigend zu, dass das Problem nicht an uns lag.
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