Google-Mitarbeiter Nr. 59
stimmt’s? Dabei ist in Wirklichkeit alles toll.« Und dann, weil er letztlich nun mal Urs war, fügte er hinzu: »Abgesehen davon, dass es immer noch Probleme gibt.«
Der Umgangston, den Urs in der Technik festlegte, galt für alle bei Google. Die Firma versammelte auf ihrer Gehaltsliste Hochleister, die es nicht gewohnt waren, keine Anerkennung zu bekommen, und trotz der Aktienoptionen und des kostenlosen Essens fühlten sie sich oft nicht genügend wertgeschätzt. Gleichzeitig waren viele verunsichert, was ihre Leistungen anging oder wo sie in Relation zu ihren Kollegen eingestuft wurden.
Zur Versorgung meines eigenen Egos entschlüsselte ich verschiedene Arten von Feedback, das ich erhielt, und entwickelte eine Deutungsskala für Erfolg. Angeordnet von »Soll ich deine SAT-Punkte sicherheitshalber noch mal prüfen?« bis »Ich glaube nicht, dass mir das eingefallen wäre«, ging es etwa so:
Das ist Zeitverschwendung.
Das ist nicht der Rede wert.
Das kränkt mich nicht.
Es wird genügen, bis wir es reparieren können.
Das klingt plausibel.
Das klingt vernünftig.
Das ist irgendwie interessant.
Außerdem entwickelte ich eine persönliche Theorie, warum die Ermutigung zur Verbesserung der Produktivität leicht daherkam, sich überschwängliches Lob jedoch als schwer fassbar erwies. Es war nicht so, dass die Leute herausragende Leistung nicht erwarteten und schätzten oder dass die Kollegen und Manager zu neidisch waren, um einzugestehen, dass eine Arbeit gut getan worden war. Im Gegenteil. Angenommen, dass alle deine Kollegen wegen ihrer Intelligenz und Fähigkeiten bei Google waren, so war es vielleicht kränkend, die Aufmerksamkeit auf ihre Erfolge zu lenken – als wärst du überrascht, dass sie das getan hatten, was von ihnen erwartet wurde.
Aus dieser Vorstellung zog ich ein bisschen Trost, so trügerisch es auch sein mochte, weil ich mich nicht mit den alternativen Möglichkeiten beschäftigen wollte – dass ich so wenig Lob zu hören bekam, weil niemand fand, dass ich das verdient habe.
Was? Ich mache mir Sorgen?
Die Angst, zurückzufallen, verursachte mir Magenschmerzen und unruhigen Schlaf. Nicht so Urs. Trotz der umfangreichen Last, die Sergey und Larry auf seine Schultern geladen hatten, konnte er am Ende eines vollen Tages loslassen. »Ich war immer in der Lage, zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, um die ich mich nicht sofort kümmern konnte«, sagte er. »Deshalb habe ich mich nicht schlecht gefühlt, weil ich wusste, dass ich das Beste aus meiner Zeit herausgeholt hatte. Die Leute lachen, wenn sie das hören, aber mir fällt es tatsächlich leichter als anderen Menschen, Fehler oder Unvollkommenheit zu akzeptieren – wenn es dafür einen guten Grund gibt.«
Ich habe meine Zeitaufteilung und Prioritätensetzung stets infrage gestellt. Cindy, die mir über die Schulter schaute, tat das ebenfalls. Ein Flyer »Der ›Mit dem Fahrrad zur Arbeit‹-Tag« erhielt dieselbe Aufmerksamkeit wie das entscheidende Teil einer Produkteinführung. Sobald ich mit einem Projekt begonnen hatte, zwang ich mich, dabeizubleiben, bis jede Präposition einem Objekt zugeordnet und jedes Partizip sorgfältig eingefügt war. Manchmal rang ich eine ganze Stunde lang um ein einziges Wort und verbrachte dann Tage damit, es zu verteidigen. Hochgradige Konzentration. Vorsätzliche Umsetzung. Methodischer Fortschritt. Orientierungslos im Wald herumirren.
Urs würde einen Schritt zurücktreten, blinzeln, um die Details zu verschleiern und sich den Gesamtzusammenhang ansehen. Er verstand die Details, aber er war diszipliniert genug, sich nicht pausenlos damit zu beschäftigen. Das verschaffte ihm die Freiheit, mit ausschweifenden breiten Pinselstrichen zu malen. Wie er es ausdrückt: »Du musst dir sowohl emotional wie auch intellektuell sagen ›Ich kann nur so viele Stunden arbeiten. Das Beste, was ich tun kann, ist, die Stunden möglichst effizient zu nutzen und die richtigen Prioritäten zu setzen, damit ich meine Zeit für die wichtigsten Dinge aufwenden kann.‹ Wenn ich etwas below the line sehe, das kaputt ist und das ich reparieren kann, ist es wichtig, es nicht zu reparieren. Dabei schadest du dir nur selbst. Entweder persönlich – weil du noch eine Stunde hinzufügst, was nicht vertretbar ist, oder du schadest einer Sache, die above the line ist und nicht die angemessene Zeit gewährt bekommt.«
Wie setzte er das in der Praxis um?
»Scheißt auf die Qualität«, wies Urs ein Entwicklungsteam an und
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