Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)
habe, von ihr den Zweitschlüssel zurückzufordern, bevor sie die Tür ins Schloss werfen konnte.
Wer bist du sind die einzigen drei Worte, die im Moment in meinem Kopf Platz finden. Ich bin frisch verliebt, und ich werde das Mädchen finden, das seit zwei Tagen meine gesamte Aufmerksamkeit beansprucht.
Dallas, Texas, 16. Januar
10.22 Uhr
„Hi Mom, hallo Dad. Schön euch zu sehen.“
Das letzte Wort ließ sich Sharon genüsslich auf der Zunge zergehen.
Gwen Lawford stürmte zum Bett und umarmte ihre Tochter so stark, dass diese leicht aufstöhnte. Frank Lawford kam etwas langsamer nach, doch auch ihm stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Wohlgefällig betrachtete er seine Tochter, deren blondes Engelhaar das gesamte Kopfkissen zudeckte.
Schon bei dem gestrigen Besuch war deutlich geworden, dass Sharon das Koma weitaus besser überstanden hatte, als erwartet. Gestern hatten die Lawfords sich mit ihrer Tochter fast schon normal unterhalten können, wobei die anfänglich leichte Sprachbehinderung jedoch von Minute zu Minute abgenommen hatte.
Dr. Walken hatte Sharons Genesungsverlauf als einzigartigen Glücksfall bezeichnet und darauf hingewiesen, dass man sich sogar bezüglich der Erlangung ihrer Sehkraft durchaus Hoffnung machen könne, wenn man auch die direkte Ursache der Erblindung noch nicht genau kannte.
Gestern war sie noch blind gewesen, aber heute war sie aufgewacht und ... hatte gesehen.
Vor lauter Freude hatte sie sofort nach der Schwester geläutet, und zehn Minuten später hatte Dr. Walken Sharons Eltern die gute Nachricht telefonisch mitgeteilt. Dabei hatte der Arzt sich dahin gehend geäußert, dass die Lawfords bisher die einzigen Menschen wären, denen er innerhalb von vierundzwanzig Stunden zweimal eine frohe Botschaft mit einer derartigen Gewichtung hatte mitteilen dürfen und dass er sich darüber sehr freue.
Und jetzt sah Sharon ihre Eltern zum ersten Mal seit dem Tag im vergangenen Sommer, an dem sie mit ihrem Freund Kenny zu einer mehrtägigen Motorradtour aufgebrochen war.
Damals hatte Kenny Sharon abgeholt, und während sie auf den Sozius der Harley Davidson gestiegen war, hatte ihr Vater Kenny noch eindringlich darum gebeten, jegliches Risiko zu vermeiden und nicht allzu schnell zu fahren. Ihre Mutter hatte dabeigestanden und ihnen viel Spaß gewünscht.
Sie hatten auch ein paar Tage lang ihren Spaß gehabt, und Kenny war tatsächlich nicht sehr schnell gefahren, aber das traf nicht auf den Fahrer des Kleinlasters zu, der sie auf der Heimfahrt in einer Kurve schnitt. Bei dem Unfall verlor Kenny sein Leben, und Sharon, die sich außerdem noch beide Arme und ein Bein brach, fiel ins Koma.
Sharon stellte fest, dass sich ihre Eltern im Verlauf dieses halben Jahres verändert hatten. Die Haare ihres Vaters waren grau geworden, und im Gesicht ihrer Mutter waren nun wesentlich mehr Falten zu sehen, als an jenem Tag, an dem sie ihr zum Abschied gewunken hatte.
„Sharon, Liebes, ich freue mich so, ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich bin, dass du wieder sehen kannst“, schluchzte Gwen unter Tränen, während sie Sharon aus ihrer Umarmung entließ und sich einen Stuhl ans Krankenbett rückte. Frank tat es ihr gleich.
„Jetzt fehle ich schon zwei Tage im Büro“, sagte er lächelnd, „wenn das mit den guten Nachrichten so weiter geht, dann bin ich bald arbeitslos.“
Sharon wollte gerade etwas erwidern, doch da zuckte sie plötzlich zurück.
„Was war das?“, fragte sie ungläubig.
„Was meinst du, Schatz?“ Gwen hatte nichts bemerkt.
Sharon richtete sich etwas im Bett auf. Da war es wieder. Und wieder. Sie bekam es mit der Angst zu tun.
„Da ist etwas. Es hat mich berührt.“ Sie fasste sich an die Wange.
„Da ... eben schon wieder!“
„Aber da ist nichts“, warf nun Frank ein, „nur wir drei sind in diesem Zimmer, und sonst niemand.“
„Ja, aber ...“
„Beruhige dich, Schatz“, sagte Gwen, „das ist nur die Anspannung. Es ist so viel passiert, und da ist es ganz verständlich, wenn die Nerven ein wenig ...“
„Aber da ist etwas, Mom“, beharrte Sharon, während sie erneut ihren Kopf zurückzucken ließ. „Als ob mich jemand ... streichelt.“
Gwen und Frank sahen sich ratlos an.
„Aber du hast doch keine Schmerzen?“, erkundigte sich Frank vorsichtig.
„Nein, aber ... aber es ist unheimlich. Ich sehe euch, ich sehe diesen Raum, aber ich sehe nicht, was mich dauernd berührt.“
„Nun, wir sehen ebenfalls nichts, und
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