Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
Ihr wohlbehalten zurückgekehrt seid«, erwiderte Hochmeister Aberian, der dem Entscheidungskonvent, in dem alle für die Belange des Ordens wichtigen Beschlüsse gefasst wurden, angehörte. An dem Ring, den er trug, war zu erkennen, dass er dem Haus der Schattenmeister angehörte, die in der Kunst der Schattenpfadgängerei bewandert waren.
Über die in einer Zwischenwelt gelegenen Schattenpfade vermochten die Schattenmeister weite Entfernungen innerhalb von Augenblicken zu überwinden. Nur wer über ein besonders hohes Maß an magischer Begabung verfügte, vermochte diese Kunst zu erlernen, ohne dabei sein eigenes Leben zu gefährden, denn die Schattenpfadgängerei fraß die Lebenskraft desjenigen, der sie anwendete, und daher musste der Betreffende in der Lage sein, den Verlust durch Beschwörung der Alten Kraft auszugleichen. Nur besonders herausragende Talente waren dazu in der Lage, und auch das nur nach langer Übung.
Die Schattenmeister waren zahlenmäßig die kleinste Gruppe des Ordens, und den Angehörigen dieses Hauses wurde allein schon aufgrund ihrer Seltenheit besonderer Respekt entgegengebracht. Auch hinsichtlich der Schüler, die sich dem Haus der Schatten zuwandten, war die Anzahl am geringsten. Nichtsdestotrotz hatte sich Gorian vorgenommen, auch diese schwierige und lebensgefährliche Kunst zu erlernen.
Hochmeister Aberian wandte sich Gorian zu. Sein Blick hatte etwas sehr Durchdringendes, und sogleich spürte Gorian die starke Präsenz, die der Geist Aberians ausstrahlte.
»Wie ich sehe, war Euer Weg nach Thisilien nicht umsonst, Meister Thondaril«, sprach Aberian. »Gorian, Sohn des Nhorich und Enkel des Erian, ich heiße dich auf der Ordensburg willkommen. Deine Ahnen haben bereits Ordensgeschichte geschrieben, und die Zeichen des Himmels bei deiner Geburt verkündeten, dass auch dir dies gelingen könnte.«
»Ich danke Euch für Eure Worte, Hochmeister«, sagte Gorian.
Für einen kurzen Moment spürte er, wie etwas Fremdes seinen Geist berührte und ihn abtastete. Aberian wusste alles über ihn, durchfuhr es Gorian, und es erschreckte ihn, dass er offenbar keine Möglichkeit hatte, sich dagegen zu wehren.
»Die Alte Kraft ist stark in dir«, sagte Aberian. »Stärker, als ich zu hoffen wagte.«
»Es würde mich freuen, würdet Ihr mich als würdig erachten, ein Schüler des Ordens zu werden«, erwiderte Gorian in aller Demut.
Ein Lächeln glitt über Aberians Gesicht. »In allen fünf Häusern! An Ehrgeiz mangelt es dir jedenfalls nicht!«
»Woher …«
Hatte dieser einzige kurze Moment geistiger Berührung Aberian ausgereicht, ihn so vollkommen zu durchschauen? Gorian erschrak erneut darüber, dass er offenbar nichts vor dem Hochmeister verbergen konnte.
»Du brauchst nicht beunruhigt zu sein«, sagte Aberian. »Du wirst noch lernen, deinen Geist besser abzuschirmen, das verspreche ich dir.«
»Und was ist mit meinem Anliegen, in allen fünf Häusern die Meisterschaft zu erringen?«, fragte Gorian und erntete dafür einen tadelnden Blick von Thondaril.
»Ich habe leider vergeblich versucht, ihm seinen Hochmut auszutreiben«, erklärte der zweifache Ordensmeister beinahe entschuldigend. »Ich fürchte, er ist hartnäckiger, als uns allen lieb sein kann.«
»Wir werden darüber im Entscheidungskonvent beraten«, versprach Aberian. »Mehr kann ich dazu noch nicht sagen …«
Ein Schüler namens Torbas wurde angewiesen, Gorian seine Zelle zu zeigen. Er hatte vor zwei Monaten die Ausbildung im Haus des Schwertes begonnen. Seine grauen Augen hatten etwas Falkenhaftes und musterten Gorian eindringlich. Sein Haar war dunkel, und das erhobene Kinn deutete eine Art von Stolz an, bei der Gorian noch nicht so recht wusste, was er davon halten sollte.
»Du hattest ja einen ziemlich großen Auftritt«, sagte Torbas, während sie die Treppe im Schwerthaus hinaufgingen. »Vorhin, als du mit dem Greif gelandet bist und Meister Thondaril dich gleich dem Hochmeister vorgestellt hat.«
»Ich habe es nicht darauf angelegt«, erwiderte Gorian. »Und dass der Hochmeister bereits wusste, wer ich war …«
»Das wusste er bei mir ebenfalls«, unterbrach ihn Torbas.
»So?«
Torbas blieb stehen, drehte sich zu Gorian um und sah von der höheren Treppenstufe aus auf ihn hinab. In seinem Lächeln paarte sich freundliche Offenheit mit einem kleinen, aber doch deutlich spürbaren Schuss Geringschätzung. »Es heißt, dass einer, der unter bestimmten Zeichen des Himmels geboren wurde, vielleicht ein
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