Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
Tand galten, sondern irgendeine magische Funktion erfüllten. Auch hinsichtlich der Kleidung wurde auf Schlichtheit geachtet, schließlich war das Vorbild aller Ordensleute nach wie vor der legendäre Erste Meister, der schließlich sogar seinen Namen abgelegt hatte, weil er ihn als Ausdruck der Eitelkeit angesehen hatte.
Aber gegen die Benutzung von Haarspangen hatte niemand im Orden etwas einzuwenden, und so hatte Sheera – wie manch andere Schülerin auch – diesen Spielraum genutzt und sich das Haar hochgesteckt.
»Du siehst toll aus«, sagte Gorian, der sie aufgrund dieses ungewohnten Anblicks noch öfter als sonst ansehen musste.
»Danke«, erwiderte sie.
»Na, wir wollen doch heute Abend nicht den Geist des Ersten Meisters beleidigen, indem wir uns gegenseitig eitle Komplimente machen«, mischte sich Torbas ein. »Oder was meint ihr zwei dazu?«
Gorian lag eine spitze Erwiderung auf der Zunge, die er allerdings erst einmal herunterschlucken musste, denn in diesem Moment ertönte ein Gong und sorgte für absolute Ruhe.
Es folgte eine kurze, aber salbungsvolle Begrüßung durch den Hochmeister, dann sprach der Kanzler des Kaisers ebenfalls ein paar freundliche Worte, zu denen Corach IV. – ein schmalgesichtiger Mann mit dunklem, bis zu den Schultern herabhängendem Haar, einem hervorspringenden Kinn und einem exakt gestutzten Backenbart – huldvoll lächelte und durch die eine oder andere Geste sein Wohlwollen dem Orden gegenüber unterstrich.
Als der Kanzler geendet hatte, winkte ihn der Herrscher zu sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin der Kanzler heftig nickte, an den Hochmeister herantrat und diesem die Flüsterbotschaft weitergab.
»Der Schüler Gorian aus Twixlum möge bitte vortreten«, sagte Hochmeister Aberian.
»Na, wieder irgendwas angestellt?«, feixte der rothaarige Alrado von der anderen Seite des Tisches her.
»Tja, so ist er nun mal«, meinte Torbas. »Die Kathedrale ist noch nicht einmal wieder für die unbedarfte Schülerschaft freigegeben, da ist ihm offenbar gleich das nächste Malheur passiert. Hat irgendwer vielleicht an einem der Gebäude in der Burg oder in der Hafenstadt einen kleineren oder größeren Schaden bemerkt?«
»Sehr lustig!«, fauchte Sheera ihn an. »Spar dir die dummen Sprüche!«
»Uh, mit ihrer messerscharfen Zunge verletzt diese angebliche Heilerin die sensible Seele eines angehenden Schwertmeisters«, gab Torbas zurück.
Gorian hatte sich bereits erhoben. Er hatte keine Ahnung, was da auf ihn zukam und was Corach IV. von ihm wollte.
»Na los, tritt ruhig vor!«, forderte der Kanzler, ein Mann mit Halbglatze und strengen Zügen. Zwischen seinen buschigen Augenbrauen zog sich eine tiefe Furche von der Nasenwurzel bis hinauf zum Stirnende. »Du brauchst nicht schüchtern zu sein.«
Es dauerte eine Weile, bis sich Gorian durch den überbelegten Festsaal endlich bis zum Kaiser vorgearbeitet hatte. Überall mussten erst Stühle gerückt und ihm Platz gemacht werden.
Er verneigte sich vor dem Kaiser, dann hob er den Blick.
»Du bist Gorian aus Twixlum?«, fragte Corach.
»Ja, der bin ich.«
»Dein Hochmeister hat viel von dir erzählt, auch davon, dass sich große Hoffnungen mit dir verbinden.«
»Ich werde mir alle Mühe geben, sie zu erfüllen«, gab Gorian zurück. Hochmeister Aberian hatte doch wohl nicht etwa mit ihm vor dem Kaiser angegeben? Gorian gefiel das ganz und gar nicht. Der Erste Meister würde sich im Grab umdrehen, ging es ihm durch den Sinn – und bereute es schon im nächsten Moment, denn schließlich konnte er nicht sicher sein, ob Aberian seinen Gedanken nicht mitbekam. Falls dem so war, ließ es sich der Hochmeister jedoch nicht anmerken.
»Ist es wahr, dass du in allen fünf Häusern die Meisterschaft anstrebst, Gorian aus Twixlum?«
»Ja, das tue ich.«
»Vor uns liegt eine Zeit vieler Kämpfe, denn sicherlich wird das Frostreich einen erneuten Vorstoß gen Süden wagen. Da werden wir deine besonderen Fähigkeiten brauchen, Gorian. Sag, mir kam zu Ohren, dass du der Sohn von Nhorich dem Abtrünnigen seist.«
»Auch das ist wahr, o Kaiser.«
»Es ist schrecklich, was ihm widerfuhr. Ich habe davon gehört, und ganz gleich warum sich dein Vater vom Orden und auch von meiner Person abgewandt haben mag, was ihm zustieß, wünscht man nicht seinem ärgsten Feind.«
Gorian fragte sich, was das alles sollte. Warum wollte sich Corach mit dem Nachfahren eines verfemten Ordensmeisters versöhnen, der seinerzeit sowohl am
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