Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
magische Barriere überhaupt nichts bewirkte. Es war nicht einmal ein bläulicher Schimmer zu sehen, wenn ein Frostkrieger die unsichtbare Grenze überschritt, so wie es beim Angriff von Frogyrrs Horde auf Nhorichs Hof gewesen war. Ohne auf irgendein magisches Hindernis zu treffen, überwanden die Frostkrieger die Hafenmauer.
Dutzendweise schwangen sie sich von ihren Wollnashörnern an Seilhaken empor. Hier und dort versuchte ein zum Besprechen der Tribock-Munition abgestellter Magieschüler, die Feinde mittels der Alten Kraft zu bekämpfen. Blitze zuckten aus seinen Händen, versengten dem einen oder anderen Untoten den Kopf oder den Waffenarm. Aber die Angreifer waren zu zahlreich.
Innerhalb kurzer Zeit waren die Katapultmannschaften in tödliche und aussichtslose Nahkämpfe verstrickt. Selbst die Schwertschüler, die bereits sehr gut vorauszuahnen vermochten, was ihr Gegner als Nächstes tat, konnten sich kaum ihrer Haut erwehren. Todesschreie gellten, und da kein einziges Katapult mehr abgeschossen wurde, hatten es die Angreifer noch leichter, die Mauern zu überwinden. Die Katapulte des inneren und äußeren Burghofs konnten nicht zum Einsatz gebracht werden, da man unweigerlich die eigenen Leute getroffen hätte.
»Verdammt, was ist mit dem magischen Schutz durch die Bannsteine?«, rief Gorian grimmig.
»Ich weiß nicht, aber für mich sieht das so aus, als hätte jemand alle Bannsteine über Nacht entfernt«, meinte Torbas.
»Es gibt bestimmt einen Zauber, der ihre Schutzwirkung aufhebt«, war Sheera überzeugt.
Inzwischen ergriffen die Verteidiger der Hafenmauer auf breiter Front die Flucht. Die Ordnung löste sich auf, und jeder dachte nur noch daran, das eigene Leben zu retten. Manche waren verletzt.
Die Frostkrieger jedoch machten keinerlei Anstalten, den flüchtenden Menschen zu folgen. Aus gutem Grund, denn dann wären sie ein leichtes Ziel für die Katapulte in der Burg gewesen. Ein paar der untoten Orxanier schleuderten den Flüchtenden Wurfbeile hinterher oder schossen mit Bögen und Armbrüsten auf sie. Andere machten die Katapulte unbrauchbar. Sie übergossen sie mit einer brennbaren Flüssigkeit und zündeten sie an. Grünlich schimmernde Flammen loderten überall dort empor, wo ein Katapult an der Hafenmauer in Stellung gebracht worden war.
Unterdessen hatte man den Flüchtenden das Tor zum äußeren Burghof geöffnet.
»Eine Gedankenbotschaft von Heiler Faroch«, sagte Sheera. »Alle Heiler sollen sich im äußeren Burghof einfinden. Ich muss los.«
»Ich werde mitkommen«, erklärte Torbas. »Und was ist mit dir?«, fragte er Gorian.
»Das alles riecht nach Verrat und Sabotage«, sagte dieser. »Ich will wissen, was da geschehen ist. Beim Verborgenen Gott, ich war dabei, als wir unter Meister Damaraans Anleitung die Bannsteine überprüft und die Zaubersprüche erneuert haben!« Er musste an das denken, was ihm Damaraan kurz vor seinem Tod noch anvertraut hatte. Er hatte den jungen Hoffnungsträger des Ordens dazu ermutigt, stark zu bleiben und kein Verräter zu werden, auch wenn das Angebot noch so verlockend sein sollte.
Es schien, als hätte irgendjemand in der Burg nicht die nötige Stärke besessen, den leeren Versprechungen des Frostherrschers zu widerstehen.
»Was hast du vor?«, fragte Torbas.
»Geht nur. Ich werde Meister Rhaawaan suchen«, sagte Gorian. »Es wundert mich, dass er hier nirgends zu sehen ist.«
20
Verräter
Während sich Sheera und Torbas auf dem Weg in den äußeren Burghof machten, hielt Gorian plötzlich inne. Da war ein Schattenpfad, und er kam genau aus der Richtung, aus der die Wollnashornreiter herangestürmt waren. Die wiederum zogen sich hinter die Hafenmauer zurück und schwangen sich in die Sättel ihrer gewaltigen Tiere, um in kleinen Gruppen davonzupreschen. Das Ziel ihres Angriffs war offenbar erreicht. Sie waren nur eine Vorhut gewesen, welche die äußerste Verteidigungslinie der Ordensburg hatten zerstören sollen. Aber die zweite Angriffswelle würde gewiss nicht lange auf sich warten lassen.
Der sich nähernde Schattenpfadgänger wurde für Gorian immer deutlicher erkennbar. Wie eine um ihr Zentrum wirbelnde Wolke aus schwarzem Rauch näherte er sich innerhalb von Augenblicken und drang unbemerkt von allen anderen in die Kanzlei des Hochmeisters ein.
Drei weitere dunkle Wolken folgten der ersten.
Meister Aberian, durchfuhr es Gorian. Der Hochmeister war offenbar zurückgekehrt. Und mit ihm drei weitere
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