Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
Schattenmeister.
Gorian spurtete zum Gebäude der Kanzlei. Einer der älteren Schwertschüler rief ihm zu, dass er sich zur Mannschaft des dritten Springalds begeben und dort als Bannsprecher tätig werden sollte. Aber Gorian beachtete ihn nicht.
Er erreichte die Tür zur Kanzlei und öffnete sie mittels der Alten Kraft. Er hastete durch den schmalen Korridor und öffnete die Tür zur Kanzlei des Hochmeisters auf gleiche Weise.
Aberian stand dort, in der einen Hand ein gewöhnliches Breitschwert, in der anderen den blutigen Kopf von Meister Rhaawaan. Die Faust des Hochmeisters war in das dichte Haar des Sehers verkrallt, dessen Züge zur Fratze erstarrt waren. Sein massiger Körper lag ausgestreckt auf dem Boden.
Drei weitere Schattenmeister befanden sich im Raum. Gorian hatte keinen von ihnen bisher zu Gesicht bekommen, aber an ihren Ringen waren sie eindeutig als Ordensmeister zu erkennen. Ihre Hände lagen an den Griffen ihrer Schwerter.
»Was ist hier los?«, entfuhr es Gorian. »Was wird hier gespielt?«
Hochmeister Aberian verzog das Gesicht und ließ Meister Rhaawaans Kopf los, sodass dieser zu Boden schlug und über die Fliesen kullerte, um dann neben dem leblosen Körper liegen zu bleiben, und zwar genau so, dass seine erstarrten Augen auf Gorian gerichtet waren.
»Ich habe Meister Rhaawaan vertraut«, sagte Aberian, nachdem er einen schweren Atemzug getan hatte. Er ging ein paar Schritte nach links, wischte das Schwert an einem Vorhang ab, dann drehte er sich wieder zu Gorian um, steckte die Waffe aber nicht ein. »Was du hier siehst, wird dich gewiss verwirren, Schüler Gorian. Aber es wird nicht die letzte Verwicklung der Schicksalslinien sein, die dich verwirren wird, das kannst du mir glauben.«
»Warum habt Ihr Meister Rhaawaan getötet?«
»Weil er ein Verräter war.«
»War er es, der den Zauber der Bannsteine aufhob, ohne dass jemand davon etwas merkte?«
»Ja, so ist es. Meister Rhaawaan hat mich in letzter Zeit oft vertreten und darum auch diesen Raum beinahe häufiger benutzt als ich selbst. Er wusste, dass ich zur Ordensburg zurückkehren würde, denn er war ein hervorragender Seher, und das machte es ihm leicht, seine Machenschaften vor mir zu verbergen.« Er machte einen Schritt auf den Geköpften zu und streckte die linke Hand aus, woraufhin der Körper herumgedreht wurde. Der Kopf wurde angestoßen und rollte Aberian gegen den Fuß.
Nun wurde offenbar, dass Meister Rhaawaan noch im Tode ein aufgeschlagenes Buch an die Brust gepresst hielt. Aberian spießte es mit seinem Schwert auf und warf es Gorian vor die Füße. Die Überschrift des aufgeschlagenen Kapitels war groß genug, dass Gorian sie lesen konnte. »Er sah meine Rückkehr voraus, obwohl alle anderen glaubten, ich sei in den Schlachten um Ameer gefallen wie so viele von uns«, fuhr Aberian fort. »Da wollte er noch schnell den Beweis für seinen Verrat vernichten: Ein Buch, in dem sich ein Aufhebungszauber von Bannstein-Magie findet! Rhaawaan ist ein Seher und kein Magier, daher musste er sich das nötige Wissen erst aneignen. Dennoch reichten seine Kräfte aus, um den entsprechenden Zauber zu wirken.«
Gorian sammelte seine Kräfte, und seine Augen wurden schwarz. Er streckte die freie Hand aus, und das Buch schwebte empor, bis er es greifen konnte.
Die aufgeschlagenen Seiten enthielten tatsächlich detaillierte Anweisungen, wie man den Zauber von Bannsteinen durch ein einziges magisches Ritual aufheben und dauerhaft zerstören konnte. Alles, was Aberian sagte, klang plausibel.
Aber da war etwas, was Gorian zweifeln ließ. Etwas, das nicht passte. Er konnte noch nicht einmal genau sagen, was es war, das ihn so empfinden ließ. Ein Fehler in der Aura seines Gegenübers? Ein besonderes Merkmal an dem Buch? In der Schwertmeister-Ausbildung mochte er weit fortgeschritten und dem Meisterstadium sogar schon recht nahe sein. Aber was die Ausbildung in anderen Häusern betraf, stand er noch ganz am Anfang. Ein Heiler hätte vielleicht Rückschlüsse aus einem Zucken in Aberians Gesicht ziehen können, und Seher fielen winzige Kleinigkeiten auf, die andere völlig übersahen.
»Ich habe Rhaawaan vertraut wie sonst niemandem«, unterstrich Aberian seine bisherigen Worte. Er streckte die Hand aus, das Buch wurde Gorian entrissen, und während es durch die Luft schwebte, verbrannte es zu Asche. »Es gehörte ohnehin zu den verbotenen Schriften und darf auf keinen Fall in die Hände des Feindes fallen, sollte er die Burg
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