Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
die genauen Gründe.
Gorian blieb nur ein einziger Moment, um zu reagieren. Einem Basilisken-Blick auszuweichen war nicht möglich. Ihm war eine zwingende Kraft eigen, die dafür sorgte, dass jeder diesen Blick erwidern musste.
Obwohl ihn eine unheimliche Macht daran zu hindern versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, wandte er das Gesicht ab. Er kniff die Augen zusammen und riss gleichzeitig beide Hände empor, stellte sie im rechten Winkel gegeneinander, so wie er es beim Handlichtlesen zu tun pflegte, nur dass die Handflächen diesmal nach außen gerichtet waren.
Die Hände begannen zu leuchten, während Gorian einen Kraftschrei ausstieß. Auf diese Weise ließen sich Bilder von dem, was sich gerade ereignete, einfangen und jemand anderem, der dieser Kunst auch mächtig war, übermitteln. In diesem Fall jedoch wurde nichts übermittelt. Gorians Hände wurden zu einer Art Spiegel und reflektierten all das, was der Strahlenkegel über seinen Handflächen einfing. Und das war das Gesicht des Basilisken-Herrschers.
Dessen Schrei gellte durch den Audienzsaal und erstarb. Zur steinernen Statue erstarrt saß der Basilisken-König auf seinem Thron.
»Was hast du getan?«, rief Matos.
In diesem Augenblick öffnete sich eine Tür in der Nähe des Throns, und ein nur menschengroßer Basilisk rutschte auf seinem Schlangenleib herein, unterstützt von mehreren dürren Vogelkrallen, die er allerdings in erster Linie zum Greifen nutzte und nicht zur Fortbewegung. In einem dieser Greifer hielt er einen länglichen Gegenstand, der in ein schwarzes Tuch eingeschlagen war. Die zweite Vogelkralle umschloss einen Obsidian-Dolch.
Die roten Augen wiesen auch diesen Basilisken als Mitglied des Königshauses aus, auch wenn er von seiner körperlichen Erscheinung her gewiss nicht mit dem bisherigen, gerade versteinerten Träger der Königswürde konkurrieren konnte.
Weder Matos noch Gorian kamen dazu, auch nur ein einziges Wort zu sagen, dafür handelte der Basilisk zu schnell. Er schleuderte mit erstaunlichem Geschick den Dolch. Matos hatte mit diesem Wurf offensichtlich nicht gerechnet und sank getroffen zu Boden. Die Obsidian-Klinge steckte ihm in der Brust. Er stöhnte, versuchte sie sich aus dem Leib zu ziehen.
Der Basilisk näherte sich und hackte blitzschnell mit seinem Schnabel auf den am Boden Liegenden ein, so oft, dass sich selbst ein Untoter davon nicht erholen konnte.
Nur Augenblicke hatte der Basilisk gebraucht, um Matos furchtbar zuzurichten. Dann holte er unter dem schwarzen Tuch ein Schwert hervor, das aus glänzendem Stahl gearbeitet war, und legte es Matos in die kaum noch vorhandene Hand.
Zum Schluss stieß er einige Zischlaute aus, die Gorians Sprechstein nicht alle zu übersetzen vermochte. Aber offenbar rief er die gesamte Hofgesellschaft herbei.
Mehrere Türen öffneten sich, und die illustre Gesellschaft aus Basilisken, Schlangenmenschen, Menschenschlangen, Oger-Wachen und den wenigen ganz gewöhnlichen Menschen strömte voller Neugier in den Audienzsaal.
»Der König ist tot! Es gab ein Attentat – und dies war der Übeltäter!«, übersetzte Gorians Sprechstein die Worte, die der Basilisk der Hofgesellschaft entgegenrief. »Seht, er hat eine spiegelnde Metallwaffe in diesen Saal schmuggeln können! Entlasst all die Oger-Stümper, deren Aufgabe es gewesen wäre, für die Sicherheit des Königs zu sorgen und die Gäste zu durchsuchen. Wie kann man eine so große Metallwaffe übersehen?«
23
Vermächtnis
Gorian und seine Gefährten konnten den Palast-Turm unbehelligt verlassen und zur Gesandtschaft des Ordens zurückkehren.
Eine dreitägige Staatstrauer wurde angeordnet, innerhalb der niemand die Stadt verlassen oder betreten durfte, und nach diesen drei Tagen ein neuer König ausgerufen, an dessen Inthronisierung Meister Yvaan teilnahm.
Gorian aber wurde über einen Schlangenmenschen-Boten ein Amulett aus Elfenbein übergeben, das eine erstaunlich naturgetreue Relief-Abbildung jenes Basilisken zeigte, der das Schwert in Matos’ Hand gelegt und offenbar die Gunst der Stunde zu einem lange vorbereiteten Umsturz genutzt hatte. Sein unaussprechlicher Name war in basiliskischen Schriftzeichen als der des neuen Königs angegeben, wie Meister Yvaan bestätigte, der die Schrift dieses Reiches fließend zu lesen vermochte. »Dieses Amulett ist die höchste Auszeichnung, mit der ein Basilisken-König einen Nichtbasilisken ehren kann«, erklärte er. »Und dazu die erste, die dieser König
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