Gorian 1: Das Vermächtnis der Klingen
die an der Anlegestelle des Hofs festgemacht war.
Zudem wurde auch Gaerth, der Orxanier, ausgeschickt. Er sollte sich in die bewaldete Wildnis im Süden begeben, denn angeblich wohnte dort, zwei Tagesreisen entfernt, ein Heilkundiger, auf dessen Kunst Olgarich große Stücke hielt. Beliak war skeptisch hinsichtlich dieses Mannes, denn einer seiner Adh-Freunde, der auf einem benachbarten Hof angestellt war, hatte ihm berichtet, dass dort Vieh gestorben war, nachdem der Heilkundige den Tieren eine seiner Mixturen verabreicht hatte – was aber nie die Runde machte, da der Besitzer des Hofes befürchtete, alle Welt könnte annehmen, sein Vieh wäre an einer ansteckenden Krankheit verendet.
Olgarich aber schwor auf die Dienste dieses Mannes, und als er die Geschichte von Gaerths Adh-Freund hörte, tippte er sich an seine stark nach vorn gewölbte Stirn. Sein Haupt war etwa um ein Drittel größer als das eines gewöhnlichen Menschen, und der vollkommen haarlose Hinterkopf glich einer anschwellenden Froschblase. Er wurde von pulsierenden Adern durchzogen, und als Gorian noch sehr klein gewesen war und zum ersten Mal von den Schicksalslinien gehört hatte, war sein erster Gedanke der, dass sie wohl auch derart untereinander verwoben sein mussten und sich immer wieder kreuzten wie die Adern auf Olgarichs Kopf.
Weder der Orden noch die Priesterschaft erkannten die Zauberei der Zahlenmagier als Magie im eigentlichen Sinn an, und doch bedienten sich beide Gruppen ihrer Dienste. Zumeist aber wurden sie von Handelshäusern, Geldwechslern und Gutsbesitzern angestellt, denn niemand konnte so gut wirtschaften wie sie.
»Mein Vater hat die Dienste von Heilkundigen und Ärzten immer gleichermaßen abgelehnt«, sagte Gorian an Olgarich gewandt.
»Ja, nach dem Tod deiner Mutter hat er den heilenden Künsten ganz allgemein misstraut. Aber wir sollten seinen Willen in diesem Fall ignorieren, findest du nicht auch?«
Gorian nickte. »Gut«, murmelte er. »Jedoch hege ich Zweifel, dass er mit den Mitteln dieser Künste überhaupt zu heilen ist.«
»Wieso das?«
»Weil ich glaube, dass alles mit der Verletzung an seiner Hand zu tun hat. Er hat sich die Erinnerungen des Gargoyle angeeignet, der vor kurzem von Schattenreitern über das Meer gebracht wurde, um mich zu töten.«
Gorian kannte Olgarich, so lange er sich entsinnen konnte, und daher vertraute er dem Zahlenmagier fast so sehr wie seinem Vater. Es gab keinen Grund, nicht mit ihm in aller Offenheit zu sprechen, so meinte er, denn wenn Nhorich recht hatte und früher oder später ein weiterer Angriff Morygors erfolgte, musste man sich darauf vorbereiten, und das galt auch für Olgarich und alle anderen, die auf dem Hof lebten.
Der Zahlenmagier sah den Jungen nachdenklich an, und seine zumeist straff gespannte, deutlich geäderte Stirn legte sich auf einmal in tiefe Falten, die sogar das Muster der bläulichen Adern überdeckten. Genauso versuchte Morygor nach Gorians Vorstellung das alte Muster der Schicksalslinien durch ein neues zu ersetzen. Dass er selbst bei diesem Muster eine so entscheidende Rolle spielen sollte, war für Gorian nach wie vor ein verwirrender Gedanke.
»Du meinst, man sollte lieber einen Meister des Ordens rufen oder gar einen Priester?«, fragte ihn Olgarich.
»Das weiß ich nicht«, bekannte Gorian. »Vielleicht auch irgendeinen freischaffenden Magier, der nicht gerade deiner Zunft angehört.«
Der Zahlenmagier lächelte. »Du meinst einen Magier, so wie ihn sich Priesterschaft und Orden vorstellen.«
»Ja. Tut mir leid, das ist keineswegs gegen dich und deine ehrenwerte Kunst der Zahlenmagie gerichtet, aber …«
»Das habe ich auch nicht so verstanden«, fiel ihm Olgarich mit einem Lächeln ins Wort. Zahlenmagier waren für ihr nüchternes Wesen bekannt und nur schwer zu beleidigen. »Das Problem ist nur, dass dein Vater Magiern der Priesterschaft noch ablehnender gegenübersteht als Heilern und Ärzten, und hinsichtlich des Ordens hat er seit langem jeden Kontakt mit seinen Vertretern abgelehnt.«
»Du meinst, sie würden ihm nicht helfen? Auch nicht in so einem Fall wie diesem?«
»Das weiß ich nicht. Allerdings …«
»Ja?«
»Es gab da jemanden, der ihn einmal besucht hat. Das war noch vor deiner Geburt. Sein Name war Thondaril, und er fiel mir gleich auf, weil er zwei Meisterringe des Ordens trug.«
»Er war ein zweifacher Meister?«, fragte Gorian überrascht.
Olgarich nickte. »Er muss sowohl ein Meister des Schwertes als auch der
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