Gorian 2
messingfarbene Krone, die kaum breiter als zwei Finger war und sehr schlicht wirkte. Gorian aber erkannte sofort ihren Wert, denn sie bestand aus reinem Sternenmetall; er spürte die Kräfte, die darin gebunden waren. Allerdings war dieses Sternenmetall von gänzlich anderer Zusammensetzung als Sternenklinge, Schattenstich oder sein Dolch Rächer, und er nahm an, dass es auch andere Eigenschaften hatte.
Der Mann mit der Krone war von unbestimmbarem Alter. Das Haar fiel ihm über die Schultern und verbarg seine Ohren, das Gesicht war bartlos und hager, und der Blick der schräg stehenden Caladran-Augen zeigte Entschlossenheit. Er trug einen vollkommen weißen Waffenrock und eng anliegende Hosen, und seine Bewaffnung bestand aus einem verhältnismäßig langen Schwert und einem Parierdolch, an dessen Griff ein Juwel glänzte.
Die Frau an seiner Seite hatte elfenbeinfarbene Haut und langes, dunkles Haar. Auf ihrem Kleid changierten Muster und Farben, und wenn man sich darauf konzentrierte,
entstanden sich bewegende Darstellungen vergangener Schlachten.
Der König und die Frau blieben stehen, und der Namenlose verbeugte sich tief vor ihnen, um schließlich das Wort zu ergreifen: »Seid gegrüßt, ehrenwerter König Abrandir, Nachfahre des Caladir. Und Ihr ebenso, edle Orawéen. Lange ist es her, dass ich unter meinesgleichen weilte. So lange, dass in der Zwischenzeit die Königswürde des Volkes der beinahe Unsterblichen an den Urenkel ging.«
»Offenbar seid Ihr trotz aller Zerwürfnisse bestens über die Verhältnisse in Euerem ehemaligen Volk informiert, Renegat«, stellte König Abrandir fest.
»Niemand, den ich hier sehe, war schon geboren, als ich geächtet wurde«, gab der Namenlose zurück. »Das Volk der Caladran hat mich verstoßen – aber das Reich des Geistes vereint die Lebenden, die Toten und bisweilen sogar die Ungeborenen.«
»Nicht alle meines Volkes waren erbaut darüber, dass Ihr über das Reich des Geistes Verbindung mit den Caladran hieltet.«
»Viele Dinge haben sich verändert seit damals«, gab der Namenlose zu bedenken.
»Der Wandel ist das Elixier unseres Lebens«, erwiderte König Abrandir.
»Wem sagt Ihr das, erhabener König.«
Abrandir richtete den Blick auf die anderen Ankömmlinge, dann wies er auf die schwebende Truhe, und ein verhaltenes Lächeln glitt über sein Gesicht. »Das Zeichen des guten Willens und des Friedens, das Ihr angekündigt habt. Gestohlene Schriften, die nun unserem Reich des Geistes wieder zugefügt werden können.« Wieder sah er den Namenlosen an. »Wie soll ich Euch nennen?«
»Ich bin der Namenlose Renegat, und das bleibe ich auch«, lautete die Antwort. »Meinen Namen habe ich abgelegt, und auch wenn ich es nicht lassen konnte, Verbindung zum Reich des Geistes und darüber zu meinem ehemaligen Volk zu halten, werde ich trotzdem nie wieder einer von Euch sein.«
»Und doch kommt Ihr hierher?«, wunderte sich König Abrandir.
»Es sind außergewöhnliche Umstände, die mich dazu zwingen. Morygor bedroht ganz Erdenrund, und nur ein großes Bündnis gegen ihn kann ihn aufhalten. Sonst wird diese Welt ein Ort, auf dem selbst die Caladran nicht mehr zu leben vermögen, auch wenn sie der Kälte besser zu widerstehen wissen als viele andere.« Der Namenlose wandte sich halb herum und deutete auf Gorian und seine Gefährten.
Es war offenbar überflüssig, sie vorzustellen; Abrandir schien über jeden von ihnen bereits Bescheid zu wissen. Gorian fragte sich, wie viel der Namenlose über ihn und die anderen seinem ehemaligen Volk übermittelt und was es mit dem geheimnisvollen Reich des Geistes auf sich hatte.
»Thondaril, Meister des Schwertes und der Magie«, sprach Abrandir den Ordensmeister an. »Für einen Menschen sind Eure Talente über Gebühr ausgeprägt.«
»Ich war immer bemüht zu lernen«, gab Thondaril bescheiden zurück. »Und das ist bis heute so geblieben.«
»Die Grenze der Erkenntnis sollte man erst dann akzeptieren, da man sie erreicht hat«, stimmte ihm Abrandir zu.
»Ich bin geneigt, solche Grenzen überhaupt nicht zu akzeptieren«, erwiderte Thondaril.
»Menschliche Selbstüberschätzung«, erwiderte Abrandir. »Mag sein, dass man sich diese Unbekümmertheit für die kurze Dauer Eurer Existenz erhalten kann.«
Thondaril deutete auf Zog Yaal. »Hier steht der Vertreter Gryphlands, der gekommen ist, angesichts der großen Gefahr mit den Caladran Frieden zu schließen, damit wir gemeinsam der Bedrohung begegnen können.«
Der
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