Gorian 2
die Leviathane durch das Weltentor zurückgeholt und ihnen dafür Dienste abverlangt haben.«
»So wird es sein«, stimmte Thondaril zu.
»Vater, sagt ihnen die ganze Wahrheit«, verlangte der Ältere Prinz. »Unser Schweigen kann nun niemandem mehr helfen, auch unserer Schwester nicht.«
Demris Gon hob den Kopf, blickte zuerst seinen älteren Sohn an, dann den jüngeren und schließlich Gorian. »Man versprach mir, dass meine Tochter durch die Kraft des Totenalbs wieder völlig gesunden würde. Falls ich mich ihm aber verweigern sollte, würde er sich an ihrer Seele laben und an ihrer Todesangst, denn sie sei dem Reich der Schatten bereits näher als den Gefilden der Lebenden. Ich war zu
schwach, mich dagegen aufzulehnen, und habe zugelassen, dass der Totenalb von mir Besitz ergriff. Ich erwarte nicht, dass du mir dies verzeihst, Gorian.«
»Ich trage Euch nichts nach«, versicherte dieser.
»Ich habe versucht, dich zu töten!«
»Ihr wart unter fremdem Einfluss.«
»Ich habe mich ihm unterworfen!«
»Und nur deshalb lebt Ihr noch, mein König. Nach allem, was der Erste Meister über die Totenalben niederschrieb, brauchen sie das Einverständnis dessen, von dem sie Besitz ergreifen, und dieses Einverständnis erpressen sie auf perfide Weise, so wie auch in Eurem Fall.«
»Mein Schüler kennt die Axiome offenbar besser als mancher Meister«, mischte sich Thondaril ein. »Hättet Ihr geistigen Widerstand geleistet, Demris Gon, wärt Ihr jetzt vermutlich tot, und Eure Seele hätte dieser Kreatur zur Kräftigung gedient.«
»Ich verstehe nichts von diesen Dingen. Die Gryphländer haben kein besonderes Talent zur Magie, das enthielt uns der Verborgene Gott offenbar vor, aus einem Grund, den er ebenso vor uns verborgen hält wie sein Antlitz.«
Gorian trat einen Schritt vor, obwohl ihm sowohl der Blick als auch ein intensiver Gedanke seines Meisters dringend davon abriet.
»Nicht!«
Es kam nur selten vor, dass Gorian einen Gedanken Thondarils empfing, so wie es bei Sheera recht häufig der Fall war. Der Meister in den Ordenshäusern von Schwert und Magie hielt seinen Geist verschlossen, und Gorian war sich sehr wohl bewusst, dass er einige Dinge vor ihm geheim hielt.
Trotz der Ermahnung des zweifachen Ordensmeisters trat
Gorian noch einen Schritt nach vorn und folgte damit seinem Gefühl. Ebenso, als er sagte: »Dass Ihr gegenüber dem Totenalb schwach wart, ist verzeihlich, und niemand von uns kann behaupten, er würde in einer vergleichbaren Situation mehr Stärke beweisen. Jetzt aber solltet Ihr Stärke zeigen. Eine Stärke, die sich durch eine rasche Entscheidung kundtut. Erlaubt uns die Reise nach Felsenburg, und gebt uns ein Schreiben mit dem königlichen Siegel mit, das uns alle Türen öffnet, hinter die wir sehen wollen. Ihr würdet damit Euren Beitrag im Kampf gegen Morygor leisten, einen Beitrag, der vielleicht wichtiger ist als alles, was derzeit in Arabur verhandelt wird.«
Der König runzelte die Stirn. »Ich werde …«
Weiter kam er nicht.
Denn in diesem Augenblick stürzte eine Frau mit schlohweißem Haar in den Saal. Keine der Wachen hielt sie auf. Ihr fließendes Gewand war gewiss aus einem der sehr edlen und teuren Stoffe, die mit den Schiffen der Margoreaner angeliefert wurden, und zudem trug sie ein goldenes Amulett mit dem königlichen Greifenwappen.
»Unsere Tochter!«, rief sie schluchzend. »Sie liegt im Sterben! Schnell! Es muss etwas geschehen!«
3
Die Königstochter
Sie folgten Demris Gon und seiner vollkommen aufgelösten Gemahlin durch mehrere Korridore in die Privatgemächer der königlichen Familie. Der Herrscher Gryphlands wünschte ausdrücklich, dass ihn sowohl der Heiler Aarad als auch die anderen Ordensangehörigen begleiteten.
Unterwegs versuchte Aarad vergeblich, der Königin nähere Angaben über den Zustand ihrer Tochter zu entlocken, doch sie war völlig außer sich.
»Sie ist um einiges jünger als ihr Gemahl, aber das leidvolle Schicksal ihrer Tochter hat sie schnell altern lassen« , empfing Gorian einen Gedanken Sheeras.
Für einen Moment glaubte er wieder jene dunkle Magie zu spüren, die ihm bereits aufgefallen war, als er die Greifengondel verlassen hatte.
Schließlich gelangten sie in das Gemach der Königstochter.
Bleich und kränklich lag sie auf ihrem Bett, Schweiß perlte auf ihrer Stirn, und schwarzes Blut quoll ihr aus Augen, Ohren und Nase. Eine Dienerin versuchte vergeblich, den Blutfluss mit Tüchern zu mindern.
Der Blick der
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