Gorian 2
Reiter zur Verfügung«, mischte sich die Königin ein, und sie sagte es direkt an Gorian gerichtet. Sie war offenbar der Ansicht, diesem Fremden, der ihre Tochter vor dem schon sicher geglaubten Tod bewahrt hatte, noch zu sehr viel mehr Dank verpflichtet zu sein.
Doch noch ehe Gorian antworten konnte, ergriff Thondaril wieder das Wort. »Wir werden uns selbst um eine Reisegelegenheit kümmern«, sagte er freundlich. »Es stehen unruhige Zeiten bevor, und Ihr werdet jeden Eurer Kriegsgreifen benötigen, um Euer Land zu verteidigen.«
Später, als sie in die Höhlen der Ordensgesandtschaft zurückgekehrt waren, verriet Thondaril den wahren Grund dafür, dass er das Angebot der Königin abgelehnt hatte. »Wir können zwar nicht ohne Greifen nach Felsenburg gelangen – es sei denn, wir hätten für diese Reise durch ein extrem unwegsames Land Monate Zeit, was, wie wir alle wissen, nicht der Fall ist -, aber ich möchte niemanden bei mir haben, dem ich nicht voll und ganz vertraue. Niemanden, der im Sold eines anderen steht – und schon gar nicht jemanden, der einem Mann gehorcht, der so wankelmütig ist wie der König von Gryphland. Wer weiß schon, welchen Dämon ihm Morygor demnächst im Schlaf schickt, damit er das Bündnis mit uns wieder aufkündigt.«
»Gleichgültig, an welchen seiner beiden Söhne er sein Reich übergibt«, warf Torbas mit spöttischem Unterton ein, »er sollte es nur möglichst bald tun. Jeder Bettler, den er im Hafen aufgabelt, wäre ein Herrscher mit mehr Entschlusskraft.«
Gorian wandte sich an Meister Thondaril. »Wie sollen wir aber dann zur Burg gelangen?«
»Wir nehmen die Hilfe eines Mannes in Anspruch, der immerhin bereit war, uns ins Reich der Kälte zu fliegen. Der gesehen hat, was denjenigen geschieht, die unter Morygors kalte Herrschaft fallen.«
»Centros Bal«, murmelte Gorian. Er lächelte matt. »Habe ich mir gedacht. Aber man wird ihn überzeugen müssen.«
»Darum wirst du mich begleiten, wenn ich zu ihm gehe«, bestimmte Meister Thondaril.
Centros Bal besaß ein Haus in Port Gryphenklau. Es lag in Sichtweite der Kaimauern und Umschlagplätze, wo die Waren angeliefert und umgeladen wurden. Oft genug wechselten sie aber nicht nur vom Schiff in die Greifengondel, sondern auch gleich für einen mehr oder weniger guten Preis den Besitzer. Der gesamte Hafen glich einer einzigen Markthandelsmeile.
Das Haus Centros Bals war zugleich ein Kontor und beherbergte auch die Stallung für seinen Greifen. Fünf Geschosse ragte es empor, und das kuppelförmige Dach ließ sich durch einen ausgeklügelten Mechanismus, den ein Baumeister aus Mitulien entworfen hatte, so weit öffnen, dass ein Greif einfliegen und landen konnte. Im Untergeschoss war eine Zucht und Dressurschule für Seilschlangen untergebracht; diese hilfreichen Wesen waren schließlich für jeden Greifenreiter unentbehrlich. Insbesondere auf ausgedehnten Reisen wie die Bernsteinflüge Centros Bals zu den Mittlinger Inseln musste man sich auf die Tiere verlassen können, die sich mit einem Ende um den Körper des Greifen schlangen und mit dem anderen die Gondel hielten oder bei einem Reiterwechsel einen Mann umfassten, um
ihn vom Gondelbalkon auf den Greifenrücken oder zurückzuheben.
Gorian und Thondaril wurden am Eingang des Hauses von Fentos Roon in Empfang genommen. Der zweite und selten zum Einsatz kommende Greifenreiter in den Diensten Centros Bals erkannte die beiden sofort wieder.
»Ihr seht ja, dass hier ein ständiges Kommen und Gehen herrscht, aber ich bin sicher, dass Centros Bal für Euch ganz gewiss Zeit findet«, sagte er freundlich.
»Ich hoffe, die Geschäfte deines Herrn gehen gut«, erwiderte Thondaril.
Sie mussten zur Seite weichen, weil eine Kolonne von Ogern, die sich im Hafen als Träger verdingten, große Stoffballen zu den Lagerräumen brachte.
»Mein Herr kann nicht klagen«, antwortete Fentos Roon. »Der Bernsteinverkauf in Basaleia hat – zumal durch die Umgehung des Zwischenhandels – eine gute Summe eingebracht. Es ist nur bedauerlich, dass sich dieses Geschäft bis auf weiteres nicht wiederholen lässt.«
Da hatte er recht. Solange die Mittlinger Inseln und das Meer, das sie umgab, von einem inzwischen wahrscheinlich mannshohen Eispanzer bedeckt waren, blieb jeder weitere Bernsteinflug ausgeschlossen. Davon abgesehen gehörte dieses Gebiet nun zu Morygors Reich, und es war davon auszugehen, dass sich seine dunkle magische Aura dort bereits so stark manifestiert hatte, wie es
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