Gorian 2
dann?«
»Auf die Fähigkeit zur Erkenntnis. Darauf, sein inneres Auge auf eine Weise zu benutzen, die mir niemals möglich war.« Und dann hatte Nhorich seinem Sohn auf die Schulter geklopft und hinzugefügt: »Wenn der Schattenbringer eines Tages nicht einmal mehr genug Licht zur Erde lässt, dass man ein Schwert führen kann, lohnt sich der Kampf ohnehin
nicht mehr, denn dann wird die Welt zu einem gefrorenen toten Brocken in der unendlichen Kälte des Polyversums. Ein Ort, an dem keine Existenz möglich ist …«
An diese Worte erinnerte sich Gorian, während er den nächsten Angriff seines Gegners erwartete. Von Hieb zu Hieb wurde es für ihn leichter vorherzusehen, wie sein Gegner als Nächstes die Axt führen würde. Er konnte den Totenalb und sein Tun trotz Finsternis und Geräuschlosigkeit genau erahnen, und schließlich spürte er sogar, wo sich sein Feind gerade im Raum befand.
Wieder erfolgte ein Angriff.
Mit einer ins Unermessliche gesteigerten Wut hieb der Totenalb auf ihn ein. Nie zuvor hatte Gorian ein Wesen in derart rascher Folge Hiebe mit einer vergleichsweise großen Waffe austeilen sehen, wie es sein unsichtbarer Gegner nun tat.
Trotzdem brachten ihn diese Hiebe nicht einmal ansatzweise in Gefahr. Er lenkte ihre Kraft geschickt ab, parierte die furchtbaren Schläge mit immer größerem Geschick.
Wut ist die Tochter der Unsicherheit und die Schwester der Furcht, fiel ihm ein weiteres der Ordens-Axiome ein.
Als ihn der Totenalb erneut attackierte, wagte es Gorian sogar, einen eigenen Schlag anzutäuschen. Ein gleichermaßen ungestümer wie unvorsichtiger Hieb verfehlte ganz knapp seinen Kopf. Gorian tauchte darunter hinweg und stieß dann mit Sternenklinge zu.
Aber er rief dabei keinen Kraftschrei, der in dieser geräuschlosen Welt ohnehin von niemandem gehört worden wäre. Er konzentrierte seine angesammelte Kraft auch nicht auf das Schwert, damit seine Kraft in seinen Gegner überströmen und ihn vernichten konnte.
Er tat genau das Gegenteil.
In dem Moment, als die Klinge aus Sternenmetall in den unsichtbaren Körper des Totenalbs schnitt, sog er alle Kraft aus seinem Gegner, und Blitze tanzten am Schwert entlang.
Ein Gedankenschrei raubte Gorian fast die Besinnung. Dann öffnete er die Augen.
Dunkler Rauch stieg vom Boden auf und verflüchtigte sich innerhalb weniger Herzschläge. Dann blendete ihn das flackernde Licht von Öllampen, das ihm für einen Moment fast unerträglich hell erschien, und Schwindel erfasste ihn.
»Gorian!«, hörte er Sheeras Stimme und dann Meister Thondaril, der eine magische Formel murmelte; sie war Gorian unbekannt, sorgte aber offenbar dafür, dass sein Schwindelgefühl verschwand.
Er war zurück. Zurück aus der Zwischenwelt der Schattenpfade, die auf geheimnisvolle Weise neben jener Welt existierte, die für alle wahrnehmbar war. Eine geisterhafte Zwillingsschwester der Wirklichkeit ohne Geräusche.
Vor ihm lag ausgestreckt der Totenalb in seinem kuttenartigen Gewand. Schwarzes Blut quoll aus der Wunde, die Gorian ihm beigebracht hatte.
Dann zerflossen der Körper und das Gewand zu einer zähen, dunklen Flüssigkeit, die von dem schwarzen Blut nicht zu unterscheiden war, und Gleiches geschah mit seiner Axt. Kurz war das sonst im Schatten der Kapuze verborgene Gesicht zu sehen, doch es war nur noch ein Totenschädel.
Die Flüssigkeit drang in den Boden ein, versickerte, und nur noch ein dunkler Fleck mit den ungefähren Umrissen der Gestalt blieb zurück.
Gorian konnte sich einen Moment lang nicht von diesem Anblick lösen, bis er Sheeras Hand sacht auf seiner Schulter spürte.
»Dem Verborgenen Gott sei Dank, du bist zurückgekehrt!«, erreichte
ihn ihr Gedanke. »Es hätte eine Schattenpfadreise ohne Wiederkehr werden können.«
Gorian sah auf und blickte in Sheeras grünlich schimmernde Augen. Sie berührte seine Schulter, wo er von dem Schattenmahr gebissen worden war. Aber es schmerzte nicht mehr. »Du hast dich selbst geheilt? Mir war für einen Moment, als …« Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. »Aber in der Welt der Schattenpfade ist so einiges möglich …«
Gorian wollte etwas sagen, aber ein Kloß steckte ihm im Hals. Zu überwältigend war das, was er soeben erlebt hatte. Er war dem Tod sehr nahe gewesen – oder vielleicht sogar einem noch schlimmeren Schicksal. Und nicht für alles, was geschehen war, hatte er eine Erklärung. Noch nicht …
Der Priester, der Zahlenmagier und die Königin standen ergriffen um das Bett der
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