Gorian 2
lassen, wird man uns in die Bibliothek führen.«
»Hast du inzwischen eine Ahnung, wer dieser geheimnisvolle Bibliothekar sein könnte, den Oras Ban erwähnte, und was er hier zu sagen hat?«, fragte Gorian.
Sheera schüttelte den Kopf. »Nein, und ich bin überzeugt, dass nicht einmal Thondaril dies weiß. Aber vielleicht lernen wir ihn auf dem Bankett kennen.«
Hauptmann Bram Segg führte Gorian, Sheera und Torbas durch eine Vielzahl von Gängen und über mehrere Treppen auf den Burghof und von dort in den hoch aufragenden Palas von Felsenburg, in dem sie nochmals mehr als hundert Stufen emporsteigen mussten.
Schließlich traten sie in einen großen Saal, dessen hohe Fenster voll verglast waren und durch die sie den flackernden Schein sahen, den die Leuchtfeuer von Felsenburg hinaus in die Nacht sandten und der beinahe bis zu den Felsen des nahen Gebirges reichte und sich dann mit dem fahlen Licht des Mondes mischte.
Der Bankettraum hingegen wurde nur von ein paar Kerzenständern auf den Tischen spärlich beleuchtet. Offenbar wollte man dadurch verhindern, dass sich die Gäste ständig in den nach Westreicher Standard verglasten Fenstern spiegelten und kein Blick ins Freie möglich war.
Tatsächlich standen die meisten Anwesenden auch vor den Fenstern, darunter Thondaril und Centros Bal. Der Kommandant der Burgwache erklärte gerade, dass man in den letzten Tagen erstmals größere Gruppe von Fledermenschen beobachtet hatte, die sich zu Schwärmen zusammengeschlossen hatten und davongeflogen waren. »Immer zahlreicher wagen sie sich aus ihren Spalten. Aber das wirklich Verwunderliche ist, dass sie nicht mehr zurückkehren.«
»In welche Richtung sind sie verschwunden?«, wollte Thondaril wissen.
»Sie flogen über die Berge«, antwortete ihm der Kommandant, ein Mann mit rot durchsetztem Haar, was in Gryphland durchaus keine Seltenheit war, »und ein paar Greifenreiter sahen sie anschließend über den südöstlichen Teil der Aschewüste ziehen, auf die Grenze nach Melagosien zu.«
»Heißt das, sie flogen auch am Tage?«, fragte Thondaril erstaunt.
»So ist es«, bestätigte der rothaarige Kommandant. »Und das, obwohl sie normalerweise nichts so sehr fürchten wie das Licht. Aber im Grenzland gibt es kleinere Waldgebiete, und angeblich kauerten dort Tausende von Fledermenschen in den besonders hellen Mittagsstunden im Schatten der Bäume. Allerdings fand man auch einige von ihnen tot auf dem Weg dorthin. Offenbar war es das Sonnenlicht, das sie verenden ließ.«
»Was kann es sein, das ihnen dermaßen wichtig ist, dass sie darüber jeden Sinn für Gefahr verlieren?«, fragte sich Thondaril.
»Man könnte fast meinen, dass sie vor irgendetwas flüchten.«
Auf einmal spürte Gorian erneut Ar-Dons verzweifelte Gedanken – wobei der Begriff Gedanke kaum noch auf die chaotische Flut von Worten, Bildern und Empfindungen zutraf. Keine einzige auch nur annähernd klare Botschaft ließ sich darin erkennen. Für einen Moment sah Gorian den Mond vor seinem inneren Auge – und davor einen Schwarm von Fledermenschen, die sich als dunkle Schatten gegen das fahle Licht des Nachtgestirns abhoben.
Die Szenerie glich exakt dem, was durch die Fenster des Bankettraums zu beobachten war. Allerdings war der Blickwinkel ein anderer. Es war, als ob jemand aus der Tiefe einer Schlucht heraus in den Nachthimmel blickte. Konnte das sein? Befand sich Ar-Don in einem dieser finsteren Gräben zwischen den Felsmassiven?
Gorian lauschte mit seinen magischen Sinnen aufmerksam in sich hinein, achtete auf jeden fremden Gedanken, auf jede Empfindung, die ihm eigenartig vorkam. Aber da
war nichts, was ihm Antworten auf seine Fragen gegeben hätte.
Aber einer solchen bedurfte es auch gar nicht. Ar-Don befand sich ganz in der Nähe, irgendwo in den Schluchten am Nordrand des mittelgryphländischen Bergrückens, und Gorians Entschluss stand in diesem Augenblick unumstößlich fest.
Ich werde dir helfen – Freund!
Auf welche Weise, davon hatte er allerdings noch nicht einmal eine vage Vorstellung.
Oras Ban betrat als Letzter den Bankettraum, dann wurde zu Tisch gebeten. Thondaril wurde ein Stuhl unmittelbar neben dem Königlichen Verwalter zugewiesen, und auch Gorian, Torbas und Sheera wurden ganz in seiner Nähe platziert. Centros Bal und Fentos Roon hingegen mussten sich deutlich entfernt von Oras Ban niederlassen, was wohl darin begründet lag, dass er den Greifenreitern keine wirkliche Bedeutung zumaß.
Diener in bunter
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