Gorian 2
für sich, denn er hatte das untrügliche Gefühl, dass dies nicht der rechte Moment war, diese Dinge mit Thondaril zu besprechen.
Als Centros Bals Greifengondel Felsenburg erreichte, setzte leichtes Schneegeriesel ein, ein erster Vorbote des ewigen Winters. Die Schlacht zwischen Feuer und Eis stand kurz bevor. Beide Seiten schienen ihre Kräfte zu sammeln.
Nachdem die Gondel in der Greifenhöhle abgesetzt worden war und Zog Yaal die Tür öffnete, erwachte Ar-Don zu neuem Leben, während er zuvor nur reglos in einer Ecke gehockt hatte wie ein lebloser Gesteinsbrocken. Er trennte sich von einem Teil seiner Körpersubstanz, ließ sie einfach als pulverisiertes grauweißes Gestein zu Boden rieseln, bildete zwei Paar Flügel aus und schwang sich wild flatternd empor.
Mit einem zischenden Laut, gepaart mit einem Gedanken, der an ein erleichtertes Seufzen gemahnte, stob er durch die Gondeltür hinaus und flatterte zur Höhlendecke empor. Die Farbe seines Körpers veränderte sich, wurde zunächst feuerrot, dann purpurfarben und wechselte schließlich
in ein kaltes Blau, das ihn wie eine zum Leben erweckte Skulptur aus Eis erscheinen ließ.
Auch Thondaril und seine Schüler verließen die Gondel, und selbst in der Greifenhöhle konnten sie den eisigen Hauch spüren, der von draußen hereinwehte. Das war nicht nur irgendein gewöhnlicher kühler Morgen in den Bergen, sondern der Beginn eines neuen Eroberungsfeldzugs des Frostreichs.
»Ar-Don!«, rief Gorian und versuchte zugleich, den Gargoyle mit einem intensiven Gedanken zu erreichen, aber er erhielt keinerlei Antwort.
Ar-Dons Fauchen hallte in der Höhle wider, und das Echo, das dabei entstand, klang wie höhnisches Gelächter, dann entschwand er in einer der kleinen Nebenhöhlen zwischen den herabhängenden Tropfsteinen.
»Er ist immer noch sehr schwach, Gorian«, empfing er einen Gedanken Sheeras. »Du kannst es daran erkennen, dass er einen Teil seiner Substanz aufgab und sich zwei Flügelpaare wachsen ließ, um sich überhaupt emporschwingen zu können. Aber seine Unabhängigkeit scheint ihm wichtiger zu sein als alles andere.«
Gorian nickte leicht. Sie hatte vermutlich recht.
Er fasste sich erneut ein Herz und sprach Thondaril an. »Meister, Ihr müsst Oras Ban warnen. Der Königliche Verwalter sollte dringend die Räumung Felsenburgs veranlassen. Jeder, der hierbleibt, ist verloren, wenn die Feuerdämonen und die Kräfte des Frostreichs aufeinandertreffen. Und dass genau dies geschehen wird, werdet Ihr sicherlich nicht leugnen wollen.«
Thondaril blieb stehen, drehte sich sehr langsam um, doch der Blick, mit dem er Gorian bedachte, war unergründlich. Sosehr er sich auch über ihn und Torbas ärgern mochte, kein einziger Gedanke drang davon nach außen. Ein Musterbeispiel
an Selbstbeherrschung und Abschirmung, erkannte Gorian halb bewundernd, halb schaudernd.
»Es ist erfreulich, dass du beginnst, die Folgen deiner Taten zu bedenken«, erklärte Thondaril kühl.
»Meister, Euer Groll gegenüber Torbas und mir ist nur zu verständlich. Aber wenn jemand Oras Ban überzeugen kann, dann seid Ihr es. Und Ihr solltet auch versuchen, noch einmal mit dem Bibliothekar zu sprechen. Denn die magischen Schriften, die er verwaltet, werden ebenfalls vernichtet werden, wenn sie in Felsenburg verbleiben. Noch ist vielleicht Zeit, etwas zu unternehmen und alles zu retten, die Bewohner Felsenburgs ebenso wie die geraubten Schriften der Caladran.«
»Sage mir nicht, was ich zu tun habe, Schüler!«, gab Thondaril reserviert zurück, dann deutete er zu dem Greifen, der neben der Gondel gelandet war und seine Flügel auf dem löwenartigen Rücken zusammengefaltet hatte. Centros Bal saß noch auf seinem Reittier und tätschelte ihm den Hals. Der Greif wirkte unruhiger als sonst, fauchende Zischlaute drangen aus dem halb geöffneten Schnabel, und Centros Bal tat alles, das Tier zu besänftigen. Vielleicht hatte der Anblick der überall aus dem Boden drängenden Feuerdämonen die uralte Erinnerung seiner Vorfahren in ihm wachgerufen, an jene Zeit, in der die Greifen nur durch das Bündnis mit den Menschen überlebt hatten und die Feuerdämonen zwar zunächst ihre Verbündeten, dann aber ihre schlimmsten Feinde gewesen waren. »Du selbst hast noch eine bittere Pflicht vor dir, Gorian«, fuhr Thondaril fort. »Du und Torbas, denn Fentos Roon wurde das Opfer eurer beider Leichtfertigkeit. Wir können froh sein, wenn Centros Bal noch bereit ist, uns zu den Inseln der
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