Gorian 2
Caladran zu fliegen. Danach, Schüler, darfst du mir gern helfen, Oras Ban zu überzeugen. Und
vielleicht ist uns das Schicksal sogar so gnädig, dass wir noch einmal die Möglichkeit erhalten, unser Anliegen dem Bibliothekar vorzutragen, obwohl ich bei ihm den Eindruck hatte, dass ihm sein alter Hass wichtiger ist als die Zukunft. Offenbar wird einem die Zukunft gleichgültig, wenn man schon so lange gelebt hat.«
Nach diesen Worten verließ Thondaril die Höhle. Gorian gesellte sich zu Torbas, der mit Sheera noch bei der Gondel stand, und zu dritt warteten sie, bis Centros Bal und sein Dritter Greifenreiter Zog Yaal mit den Greifen fertig waren.
Gorian machte keine Umschweife. Er erzählte in knappen Worten, was Fentos Roon zugestoßen war.
Das Gesicht des Nordfahrers blieb unbewegt. »Ich habe mir etwas in der Art schon gedacht, als wir nur dich und Torbas in den Bergen entdeckten«, sagte er. »Und selbst, wenn er noch irgendwo dort zu finden gewesen wäre, hätte ich nicht mehr nach ihm suchen können, denn die Feuerdämonen haben meinen Greifen halb wahnsinnig gemacht. Fentos Roon war für mich mehr als nur ein Greifenreiter in meinen Diensten. Ich bin seit meiner Jugend mit seinem Vater eng befreundet, und ich weiß noch nicht, wie ich ihm den Tod seines Sohnes begreiflich machen soll.«
»Es tut mir sehr leid.«
»Du trägst nicht mehr Schuld an seinem Ende als er selbst. Ein risikofreudiger junger Mann, der sich von einem anderen ebenso risikofreudigen Jungen zu einem gefährlichen Abenteuer überreden ließ – so was geht leider nicht immer gut aus.«
»Wir haben alles versucht, um ihn zu schützen.«
»Das weiß ich. Aber dies sei dir gesagt, Gorian: Ich bewundere, was du am Speerstein getan hast, doch wenn du den Herrscher des Frostreichs besiegen willst, wirst du
deine Leichtsinnigkeit ablegen müssen. Verlass dich nicht darauf, dass dich das Schicksal oder der Verborgene Gott oder welche Macht auch immer dich auserwählt haben mag, bedingungslos schützt. In dieser Hinsicht hat sich schon so mancher getäuscht.«
»Solche Gedanken sind mir fremd«, entgegnete Gorian.
Ein mattes Lächeln hellte das Gesicht des Nordfahrers auf. »Eigenartig. Niemand anderem mit vergleichbarem Talent würde ich das glauben. Dir schon. Keine Ahnung warum, aber so ist es nun mal.« Centros Bal legte Gorian eine Hand auf die Schulter. »Fentos Roon wird nicht der letzte deiner Gefährten sein, der in deinem Kampf gegen das Frostreich sein Leben lässt. Das ist nicht zu ändern. Nenn es Schicksal oder den Lauf der Dinge oder meinetwegen den Willen des Verborgenen Gottes, wenn dich das erleichtert. Aber bedenke immer, dass alle, die dich begleiten, schwächer sind als du, dass sie nicht die gleichen Fähigkeiten und Talente haben und auch nicht das Privileg, dass Morygor sie fürchtet.«
»Können wir dann immer noch davon ausgehen, dass Ihr uns zu den Inseln der Caladran bringen werdet?«, fragte Torbas.
Der Nordfahrer sah ihn an, und die Wärme wich aus seinem Blick. Ohne zu antworten setzte er sich in Bewegung und schritt davon, gefolgt von Zog Yaal. »Ich muss dir noch viel beibringen«, hörte Gorian den Nordfahrer zu dem jungen Greifenreiter sagen, als wäre nichts gewesen. »In Zukunft wirst auch du dem riesigen Löwenvogelmischling deinen Willen aufzwingen müssen.«
»Mal ehrlich, ich war doch nicht etwa undiplomatisch, oder?«, fragte Torbas seine Mitschüler, als die beiden Greifenreiter die Höhle verlassen hatten.
9
Eine Schlacht zwischen Feuer und Eis
»Seit Menschengedenken war der Himmel nicht so grau und wolkenverhangen wie heute«, sagte Oras Ban, der Königliche Verwalter von Felsenburg, während er über die Zinnen des Westturms blickte.
Thondaril und die drei Ordensschüler standen bei ihm. Gorian war nicht klar, welche Rolle der Meister des Schwertes und der Magie seinen drei Schülern bei dieser Zusammenkunft zugedacht hatte. Erwartete er allen Ernstes, dass sie einen Beitrag dazu leisten konnten, den Königlichen Verwalter von der Notwendigkeit ihrer Mission zu überzeugen? Oder ging es ihm darum, insbesondere Torbas und Gorian noch einmal vorzuführen, in welche prekäre Lage sie alle durch ihren nächtlichen Alleingang geraten waren.
Schneeflocken fielen aus den grauen Wolken, und aus Nordosten wehte ein eisiger Wind. In den nahen Bergen südwestlich von Felsenburg aber breitete sich das Netzwerk von rötlich schimmernden pulsierenden Adern immer weiter aus und bedeckte bereits einen
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