Gorian 3
Hauptturm der Magistratsfestung ermessen ließ, blieb es so, ohne dass auch nur einmal ein Morgenrot zu sehen gewesen wäre.
Dann wurden die Winde eisig und boten einen Vorgeschmack dessen, was bald ungehindert nach Süden zu dringen vermochte. Das Frostreich eroberte sich das kurzfristig verlorene Territorium zurück und dehnte sich erneut weiter aus.
»Ich bin froh, dass du wohlbehalten zurückgekehrt bist«, sagte Sheera.
Gorian nahm die Fingerspitzen der Rechten von ihrer Schläfe. Blitze zuckten von der Handfläche zu ihrem Kopf und zurück. Er hatte gerade all das an ihren Geist übertragen, was er erlebt und gesehen hatte. Sie befanden sich in ihrem Quartier an Bord der Hoffnung des Himmels .
»Der Bann hat die Gedankenverbindung zeitweilig unmöglich gemacht«, sagte er.
»Ich weiß.«
»Aber jetzt gibt es den Bann nicht mehr. Und der Schmelzsee wird früher oder später gefrieren und Teil der nach Süden dringenden Gletscher werden. Unsere Lage ist aussichtsloser denn je.«
»Und dennoch gibst du nicht auf?«
»Nein.«
»Ich muss dir etwas sagen, Gorian. Es ist etwas Furchtbares geschehen.«
»Was?«
»Einer der Maladran konnte seine Mordlust nicht mehr unterdrücken. Er ging offenbar schon länger des Nachts in die Stadt und tötete wahllos Menschen, Oger oder irgendwelche anderen Geschöpfe, um sich an ihrer Lebenskraft zu laben.«
Gorian erschrak bis ins Mark. »Warum habe ich nichts davon erfahren?« Es klang durchaus ein Vorwurf in seiner Frage mit.
»Als ich es erfuhr, warst du mit Meister Shabran auf den Schattenpfaden unterwegs. Ich wurde zwar nie im Haus der Schatten ausgebildet, aber ich weiß, dass man dabei alle Kräfte sammeln und sich konzentrieren muss. Und die wenigen kurzen Schattenpfadgänge – nein: -sprünge! –, auf die du mich mitgenommen hast, um unsere Haut zu retten, waren eine sehr anschauliche Lehre für mich, wie gefährlich diese Kunst ist. Außerdem …« Sie zögerte.
Gorian blickte ihr in die Augen. Das flackernde Licht einer Kerze ließ sie leuchten. Es war eine der letzten Kerzen aus dem Wachs der Schwarzen Biene Nemoriens, deren Duft man eine starke Heilwirkung nachsagte. Man verwendete sie zur geistigen Reinigung, zur Kräftigung und zur Schärfung der Sinne, vor allem der magischen.
»Warum sprichst du nicht weiter?« , fragte Gorian mit einem Gedanken.
»Es war unser Hochmeister, der mich zur Vorsicht mahnte und mir riet, über diese Dinge keinen Gedanken über längere Entfernungen hinweg auszutauschen.«
»Meister Thondaril?«
»Ja.«
»Da kann er nur mich gemeint haben.«
»Er sagt, Gedanken seien flüchtig, und es gäbe viele, die vielleicht in der Lage seien, sie mit Magie abzufangen. Und das, was dieser Maladran tat, soll sich nicht herumsprechen, weil es unserer Sache schadet.«
»Wie bitte?«, fragte Gorian laut. »Wo ist Thondaril jetzt? Er will über die Sache Schweigen bewahren, sie vertuschen, damit …«
»… damit keine unnötige Unruhe entsteht und deine Gegner sie nicht gegen dich verwenden können«, fiel Sheera ihm ins Wort. »Du hast nicht nur Feinde in der Frostfeste, Gorian, sondern auch unter denen, die du für Verbündete hältst. Und nicht alle von ihnen sind Wandler.«
Gorian erhob sich. »Ich werde Thondaril gleich aufsuchen. Seit er Hochmeister geworden ist, verkriecht er sich zumeist in den dunklen Gemäuern der Siebten Burg.«
»Bleib!« , sandte Sheera ihm einen Gedanken, der entschieden genug war, um ihn abzuhalten. »Der Mörder ist bereits gerichtet«, sagte sie laut. »Er wurde … eliminiert.«
»Durch wen?«
»Durch den Blinden Schlächter – Eldamir.«
Gorian setzte sich wieder und atmete tief durch. »Und welcher der Maladran war es, der seiner Mordlust nicht widerstehen konnte?«
»Es war der Krieger mit den Schattenflügeln.«
Gorian ballte grimmig die Hände zu Fäusten. Es stand zu befürchten, dass dies nicht der letzte derartige Fall sein würde,
und er fragte sich, ob es nicht ein großer Fehler gewesen war, diese üblen Geister in sein Gefolge aufzunehmen.
Fackeln erhellten den großen Saal in der Siebten Burg von Nelbar. Dreizehn Bogenschützen, die allesamt zur Elite der Stadtwache des Magistrats gehörten, hatten in einer Reihe Aufstellung genommen und ihre Pfeile eingelegt.
Gorian gab Sternenklinge und seinen Dolch Rächer an Meister Thondaril ab, dann stellte er sich vor die dreizehn Soldaten. Er sah auf seine Hände und sammelte sich kurz. Die Augen durften kein Anzeichen von
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