Gorian 3
lautlos schwang es zur Seite und gab den Blick auf einen der Gänge frei, die sich durch die verzweigten Wurzeln des Stadtbaums von Pela zogen.
Sie gingen diesen Gang bis zu einer Verzweigung. Gorian folgte seinem Wissen aus dem Reich des Geistes, und so wusste er, welche der Abzweigungen er zu nehmen hatte.
Davon abgesehen fand er verborgene Zeichen an den Wänden, die mit etwas Magie sichtbar gemacht werden konnten. Sie wiesen auf einen geheimen Ausgang aus der Stadt für Notfälle hin.
Maladran zeigten sich nicht mehr, aber ihre Gegenwart blieb deutlich zu spüren.
Schließlich erreichten sie den verborgenen Ausgang. Ein Tor versperrte ihnen den Weg. Der Rundbogen, der es überspannte, wirkte wie ein steinernes Gewächs und erinnerte an eine Rankpflanze. Das Tor war geschlossen. Gorian murmelte eine Formel in caladranischer Sprache, und das Tor öffnete sich nach innen. Es spaltete sich dabei in drei Flügel. Zwei klappten zur Seite, einer nach oben unter die Decke.
Dahinter kam ein Eispanzer zum Vorschein, der den Weg versperrte.
»Wie ich es mir gedacht habe«, sagte Sheera.
Gorian trat vor, berührte das Eis mit den Händen und versuchte es mit der Kraft seines Geistes zu durchdringen. Falls eine meilendicke Eisschicht über ihnen lastete, blieb ihnen vielleicht nichts anderes übrig, trotz aller damit verbundenen Risiken noch einmal über die Schattenpfade zu gehen. Aber das hätte Gorian gern vermieden.
»Das ist nicht dick«, stellte er schließlich fest. »Wir müssen nicht mehr als eine Wagenlänge überwinden.«
»Dicker, als jede Mauer auf der Ordensburg je war«, erinnerte ihn Sheera.
Gorian nahm Sternenklinge. Er sammelte die Alte Kraft in sich, bis die Klinge aufglühte, so als stünde sie kurz davor zu schmelzen. Aber sie behielt ihr Form und ihre Härte.
Dann stieß er die Klinge in das Eis.
Blitze züngelten aus dem Schwert und frästen eine immer größer werdende Öffnung, wirbelten umeinander und schraubten sich regelrecht durch die Eiswand. Ein runder Korridor bildete sich, und ein eisiger Hauch wehte Gorian und Sheera von draußen entgegen. Der Durchlass war groß genug, um hindurchzukriechen.
»Wir können sowieso nur auf allen vieren hinaus, weil es verflucht glatt sein wird«, meinte Gorian und ließ das Schwert sinken, dessen Glühen verlöschte. Bevor er die Waffe wieder einsteckte, sprach er eine Formel und wischte mit der Hand über die Klinge, woraufhin sich das Sternenmetall für einen kurzen Moment pechschwarz verfärbte, ehe es wieder seine herkömmliche Oberfläche zeigte.
»Und gegen die Glätte kann man nichts tun?«, fragte Sheera scherzhaft.
»Wir werden noch alles an Alter Kraft benötigen, was wir aufbieten können«, war Gorian überzeugt.
»Ja, das Gefühl habe ich auch«, murmelte sie.
Sie kletterten hinaus. Sheera sprach eine Heilerformel, die die Hände unempfindlicher gegen die Kälte machte, und Gorian tat es ihr nach.
Es dauerte nicht lange, bis sie ins Freie gelangten.
Die Sonnensichel war wieder schmaler geworden. Dass sie überhaupt zu sehen war, machte den einzigen Unterschied zwischen Tag und Nacht aus. Ein eisiger Nordostwind blies.
Eine weiße Ödnis umgab sie. Die ohnehin fast gänzlich von Eis und Schnee überdeckten Überreste des Stadtbaums – oder zumindest von dessen oberirdischem Teil – waren nicht zu sehen, denn eine Bergkuppe lag davor. Alles wirkte wie von einem großen weißen Leichentuch zugedeckt.
Gorian und Sheera stapften bald durch tiefen Schnee. Ihre Schritte waren schwer. Sie sanken zum Teil bis zu den Hüften ein, ehe sie wieder auf festeren Untergrund gelangten.
»Es wird eine ziemlich langwierige Reise in den Süden«, sagte Sheera.
»Wer sagt, dass wir uns dorthin wenden?«, fragte Gorian.
»Wohin denn sonst?«
»In die Frostfeste. Dort herrscht Morygor, dort verkriecht er sich und bedenkt alle Wahrscheinlichkeiten des Schicksals, um die Zukunft vorhersehen zu können – und nur dort werde ich ihm entgegentreten und ihn besiegen können.«
»Das ist noch zu früh, Gorian!«
»So? Wie lange sollten wir denn warten? Bis überhaupt kein Sonnenstrahl mehr Erdenrund erreicht?« Er deutete zur Sonnensichel am Himmel. »Wahrscheinlich wäre es schon so weit, wenn sich Ar-Don während des Rituals am Hohlspiegel nicht geopfert hätte und der Schattenbringer dadurch leicht verschoben worden wäre.«
»Glaubst du wirklich, dein Gargoyle-Freund hat sich geopfert?«
»Zweifelst du daran?«
»Es könnte doch sein,
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