Gorian 3
erkannt, an dem es sich wirkungsvoll verändern oder in einer bestimmten Bahn halten ließ.
Ein Ort und eine Zeit, die wie geschaffen waren, um Gorian für immer zur Strecke zu bringen.
»Spürst du all die Gedanken, Sheera?«
»Ja.«
»Morygor selbst ist hier. Überall. Und er lenkt ihren Willen fast so, als wären sie seine eigenen Gliedmaßen.«
Der Blinde Schlächter wandte sich Gorian zu. Mochte die Schar der Maladran durch den Kampf auch etwas dezimiert worden sein, die Überlebenden hatten ausnahmslos erheblich an Substanz gewonnen. Einige glichen einer düsteren mumienhaften Variante eines Caladran-Kriegers, andere hingegen zeigten tierhafte Züge mit fratzenhaft verzogenen Mäulern, die kaum noch einen Unterschied zu den orxanischen Untoten aufwiesen.
Nur wenige schienen sich immer noch nicht so recht auf eine Form festlegen zu wollen, und dazu gehörte auch der Krieger mit den Schattenflügeln, die immer noch eher wabernden schwarzen Flecken glichen als Schwingen aus Lederhaut oder Gefieder. Von beidem hatten sie etwas, nur um es schon im nächsten Moment erneut zu verlieren.
»Du kannst dich glücklich schätzen, uns zu Verbündeten zu haben, Anführer«, sagte der Blinde Schlächter zu Gorian, während er eine leere Augenhöhlen auf den jungen Schwertmeister richtete.
Eine Aura des Übels umgab ihn. Gorian spürte sie wie schlechten Atem. Gedankensplitter und Erinnerungen aus dem Geist seines Gegenübers streiften ihn, und er schirmte sich dagegen ab. Es waren Gedanken an Gewalt, an scharfe Waffen aus dem besonderen Stahl, den die Caladran benutzten, auch wenn die Vorfahren ihm noch einen anderen Namen
gegeben hatten. Spritzendes Blut, brechende Knochen, abgetrennte Gliedmaßen und gespaltene Schädel, von denen Blut und Hirn troff – das waren die Eindrücke, die innerhalb eines einzigen Moments Gorian erreichten und ihn zutiefst schaudern ließen. Nicht nur der Körper des Blinden Schlächters schien weitgehend wiederhergestellt, sondern auch dessen finstere Seele.
Die Abneigung, die Gorian von Anfang an gegen ihn empfunden hatte, wurde noch stärker. Wer solche Verbündete hatte, der trauerte vielleicht schon bald seinen schlimmsten Feinden nach.
»Ich habe nie deinen Namen gerufen«, entgegnete Gorian abweisend.
Der Blinde Schlächter ließ ein dröhnendes Lachen hören. »Wir wollen uns nicht mit Kleinigkeiten aufhalten, sondern lieber darüber nachdenken, wie wir uns gegen den Feind behaupten können.« Er ließ noch einmal seine beiden Schwerter so schnell durch die Luft wirbeln, dass sich Blitze bildeten, und steckte sie dann ein.
Dann deutete er zu dem Ring der Feinde, der sich neu formierte. »Sieh nur, sie versuchen jetzt etwas anderes. Aber mit dir als Anführer werden wir sie besiegen.«
»Fürst!«, stieß ein anderer Maladran hervor. »Unser Fürst!«
Und es gab weitere, die in den Ruf einfielen, wobei sie ihre heiseren und des Sprechens im Laufe der vergangenen Zeitalter ungeübten Stimmen benutzten.
»Es gefällt ihm nicht, dass ihn die Verdammten zu ihrem Fürsten erheben!«, rief der Krieger mit den Schattenflügeln und lachte dröhnend. »Aber er wird es sich gefallen lassen müssen.«
Der Blinde Schlächter sah auf seine Hände, spreizte die elfenbeinbleichen Finger, und ein zufriedenes Lächeln
huschte über sein hageres mumienhaftes Gesicht. »Ah, der Hauch des Diesseits. Ich wusste nicht, was mir gefehlt hat«, sagte er und atmete tief durch. »Aber ich habe davon geträumt. Von den Schreien der Gequälten, vom Wimmern der Verwundeten und dem Schluchzen derer, die im Diesseits zurückblieben. Es gibt noch viele zu vernichten, Gorian. So ist doch dein Name, richtig?«
Er näherte sich Gorian. Die leeren Augenhöhlen zogen Gorians Blick wie magisch an. Darin schien buchstäblich nichts zu sein, außer einer undurchdringlichen Finsternis.
»Du bist nur ein sterblicher Mensch«, stellte der Blinde Schlächter fest. »Ich sollte dich verachten, weil du nur einen Augenblick im Diesseits weilen wirst – ein früh Sterblicher, eine Kreatur des Moments, die kaum erwacht und sich dann bereits wieder zum ewigen Schlaf niederlegt. Aber nun bist du unser Anführer. Und ich werde dein Nachfolger sein. Lebendig genug bin ich schon sehr bald, und es besteht keine Eile.«
Gorian wollte etwas sagen, aber ein dicker Kloß steckte ihm im Hals. Der Gedanke an die Schreckensherrschaft, die Eldamir vorschwebte, schien kaum weniger entsetzlich als die Pläne Morygors.
»Wir sitzen in
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