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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Datscha des Staatsanwalts erschlagen; die Asanowa hatte ausgesagt, er sei intim mit der Gangsterbraut Valeria Dawidowa befreundet gewesen; die Berühmtheit seines Vaters habe ihn psychologisch verkrüppelt zurückgelassen - mit einem Wort: Alles war bekannt. Arkadi wehrte alle Versuche, ihn zu provozieren, zu verwirren oder zu erschrecken, damit ab, dass er Pribluda aufforderte, seinen Bericht zu lesen.
    Pribluda war der einzige Mann, der niemals sprach, sondern sich auf drohendes Schweigen beschränkte. Arkadi erinnerte sich an ihr Zusammentreffen im Schnee im Gorki-Park. Ihm wurde erst jetzt klar, wie ausführlich Pribluda sich seither mit ihm befasst haben musste. In ihrer Konzentration gaben Pribludas Augen erstaunlich viel preis. Alles war nicht bekannt; nichts war bekannt.
    Als die Wachposten abgezogen wurden, wurde ein Telefon im Zimmer installiert. Da der Apparat nie klingelte und niemals für Telefongespräche benützt wurde, konnte Arkadi sich denken, dass er damit belauscht wurde. Als er zum erstenmal feste Nahrung essen durfte, hörte er, wie der Servierwagen vom Aufzug an den ganzen Flur entlang bis zu seinem Zimmer geschoben wurde. Alle anderen Zimmer dieses Stockwerks waren leer.
    Die fünf Männer kamen noch zwei Tage lang zweimal täglich zurück, um ihn zu vernehmen, und Arkadi beharrte auf seiner stereotypen Antwort, bis er plötzlich begriff, was gespielt worden war.
    »Jamskoi war einer von euren Leuten!« warf er ein. »Er gehörte dem KGB an. Ihr habt es geschafft, einen von euren Leuten zum Moskauer Staatsanwalt zu machen - und jetzt entpuppt er sich als Verräter. Ihr müsst mich erschießen, nur weil er euch so blamiert hat.«
    Vier der fünf Männer wechselten fragende Blicke; nur Pribluda konzentrierte sich weiterhin auf Arkadi.
    »Wir sind eben alle nur Menschen, wie Jamskoi einmal gesagt hat.« Arkadi hatte Schmerzen, wenn er lachte.
    »Maul halten!«
    Die fünf Männer verließen das Zimmer. Arkadi lehnte sich zurück und dachte über Jamskois Vorträge über die korrekte Aufgabenverteilung auf die einzelnen Exekutivorgane nach, die ihm jetzt um so belustigender erschienen. Die fünf Männer kamen nicht zurück. Statt dessen kamen zum ersten Mal seit einer Woche zwei Wachposten herein und stellten die fünf Stühle an eine Wand des Krankenzimmers.
    Sobald er allein aufstehen und sich an Krücken bewegen durfte, ging er ans Fenster. Er stellte fest, dass er sich im vierten Stock eines Gebäudes an einer großen Strasse und in unmittelbarer Nachbarschaft einer Süßwarenfabrik befand. Das musste die Süßwarenfabrik »Bolschewik« an der Leningrader Strasse sein, obwohl er sich an keine so weit vom Stadtzentrum entfernte Klinik erinnern konnte. Er versuchte, das Fenster zu öffnen, aber es war verriegelt. Eine Krankenschwester kam herein.
    »Wir wollen nicht, dass Sie sich etwas antun«, sagte sie.
    Er wollte sich nichts antun; er wollte den Schokoladegeruch der Fabrik riechen. Er hätte weinen können, weil er die Schokolade nicht riechen durfte.
    Manchmal fühlte er sich bärenstark, um im nächsten Augenblick wieder den Tränen nahe zu sein.
    Daran waren zum Teil die anstrengenden Verhöre schuld. Die Vernehmungsoffiziere arbeiteten im allgemeinen als Team zusammen, konzentrierten ihre Willenskraft gegen die eines einzelnen Verdächtigen, umzingelten und verwirrten ihn mit falschen Anschuldigungen - je wilder, desto besser -, setzten ihn unter Druck und hatten ihn schließlich in ihrer Gewalt. Als Faustregel war das gar nicht schlecht, und er rechnete damit, dass sie so vorgehen würden; das war normal.
    Ein großer Teil seiner Probleme ergab sich aus seiner völligen Isolation. Er durfte keinen Besuch empfangen, nicht mit Ärzten, Krankenschwestern oder Wachen sprechen, keine Bücher lesen und kein Radio hören. Er ertappte sich dabei, dass er die Markenzeichen auf Gebrauchsgegenständen las und am Fenster stand, um den Strassenverkehr zu beobachten. Seine einzige intellektuelle Tätigkeit bestand darin, dass er die vielen widersprüchlichen Fragen analysierte, um festzustellen, was mit Irina geschah.
    Sie lebte. Sie hatte nicht alles erzählt und wusste, dass auch er nicht ausgepackt hatte; sonst wären die Verhöre viel präziser und schärfer gewesen. Warum hatte er verschwiegen, dass sie von dem Schmuggelunternehmen gewusst hatte? Wann hatte er sie in seine Wohnung gebracht? Was war dort passiert?
    Nach einem Tag ohne Verhöre kam Nikitin zu ihm. Der Chefinspektor für

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