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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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weiß dann die Wahrheit?«
    »Mein Bericht …«
    »Soll sie täuschen, nicht deine Freunde. Denk nicht an dich selbst, denk an Irina. Ohne mich ist sie ganz allein. Stell dir vor, wie allein sie sein wird.«
    Wahrscheinlich würden sie ihr nicht einmal sagen, dass ich tot bin, dachte Arkadi.
    »Sie erkennt nur, dass ich ein Freund bin, wenn du mir die Wahrheit sagst«, drängte Nikitin.
    Dass sie ihn umbringen würden, stand so gut wie sicher fest; damit musste Arkadi sich abfinden.
    Vielleicht wurde er aus einem Fenster gestürzt, bekam eine Überdosis Morphium oder starb an einer Luftinjektion. Wer würde sich dann um Irina kümmern?
    »Wir sind alte Freunde«, sagte Nikitin. »Ich bin dein Freund. Ich will dein Freund sein. Du kannst mir vertrauen.« Er lächelte wie ein Buddha.
    Arkadis eingeengtes Gesichtsfeld war durch das Natriumaminat grau gefärbt. Er hörte das kollektive Atmen in den Korridoren. Der Fußboden befand sich weit unterhalb seiner Füße. Leichen trugen Papierpantoffeln; sie hatten ihm Papierpantoffeln gegeben. Seine Füße waren so kränklich weiß - wie sah der Rest seines Körpers aus? Er hatte Angst. Er rieb sich mit beiden Fäusten die Stirn. Er konnte nicht mehr denken; am besten erzählte er alles, solange er noch dazu imstande war. Aber er biss die Zähne zusammen, damit ihm kein Wort entschlüpfte. Dann brach ihm der Schweiß aus, und er fürchtete, die Worte könnten ihm aus den Poren dringen. Sein ganzer Körper verkrampfte sich bei dem verzweifelten Versuch, die auf seine Lippen drängenden Worte zurückzuhalten. »Ich bin dein ältester, bester und einziger Freund«, behauptete Nikitin.
    Arkadi ließ die Hände sinken. Tränen liefen ihm übers Gesicht, aber in Gedanken empfand er große Erleichterung. Er hob die Rechte, als halte er eine Pistole in der Hand, und betätigte einen imaginären Abzug.
    »Was hast du plötzlich?« fragte Nikitin.
    Arkadi gab keine Antwort, weil die Worte, mit denen er Irina verraten würde, noch immer auf seine Lippen drängten. Aber er lächelte. Nikitin hätte die Sache mit der Pistole nicht erwähnen dürfen, als er hereingekommen war. Arkadi zielte erneut auf sein Gesicht und tat so, als drücke er ab.
    »Ich bin dein Freund«, sagte Nikitin mit weniger Überzeugungskraft.
    Arkadi verschoss ein ganzes Magazin unsichtbarer Patronen, lud nach und schoss weiter. Nikitin begriff allmählich den Sinn dieser Pantomime. Nachdem er anfangs lautstark protestiert hatte, schwieg er, wich vor Arkadis leerer Hand zurück und räumte seinen Platz auf der Bettkante. Wie der Nikitin aus alten Tagen bewegte er sich um so schneller, je näher er der Tür kam.
    Anfang des Sommers wurde Arkadi in ein Gutshaus auf dem Land gebracht. Zu dem alten Herrenhaus mit der weißen Säulenfront und den auf eine Terrasse hinausführenden Fenstertüren gehörten ein großzügig verglaster Wintergarten, eine jetzt als Garage dienende kleine Kapelle und ein ziegelroter Tennisplatz, auf dem die Wachen den ganzen Tag lang Volleyball spielten. Arkadi konnte sich frei bewegen und weite Wanderungen machen, solange er zum Abendessen zurückkam.
    In der ersten Woche landete auf der kleinen Piste ein einmotoriges Flugzeug mit zwei Vernehmungsoffizieren, Major Pribluda, einem Postsack und Vorräten wie Frischfleisch und Obst, die nur in Moskau erhältlich waren.
    Die Vernehmungen fanden zweimal täglich im Wintergarten statt, in dem nur noch einige große Gummibäume standen, die Arkadi so fehl am Platz erschienen wie Lakaien oder Leibeigene. Er saß in einem Rohrsessel zwischen den Vernehmungsoffizieren. Einer von ihnen war ein Psychiater, und seine Fragen waren clever; wie bei allen freundlich geführten Verhören lag eine schmierige Bonhomie in der Luft.
    Nach dem Mittagessen am dritten Tag traf Arkadi Pribluda im Garten allein an. Der Major hatte seine Jacke über die Rückenlehne des schmiedeeisernen Gartenstuhls gehängt und reinigte seine Pistole. Er sah überrascht auf, als Arkadi sich ihm gegenübersetzte.
    »Was ist mit Ihnen los?« fragte Arkadi. »Warum lassen die anderen Sie hier draußen sitzen?«
    »Ich hab nicht den Auftrag, Sie zu vernehmen«, antwortete Pribluda. Seine hässlichen, harten Augen waren für Arkadi zu einem festen Bezugspunkt geworden und eine Erleichterung nach dem Vormittag mit den beiden anderen KGB-Offizieren.
    »Die anderen sind Spezialisten, die ihre Sache verstehen.«
    »Warum sind Sie dann hier?«
    »Ich hab mich freiwillig gemeldet.«
    »Wie lange

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