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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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transportierten Blut und Ausscheidungen. Alle paar Stunden, wenn er fürchtete, zu Bewusstsein zu kommen, spritzte eine Krankenschwester ihm Morphium, so dass er wieder über dem Bett schweben und das graugesichtige menschliche Wrack betrachten konnte.
    Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Er erinnerte sich vage daran, dass er jemanden umgebracht hatte, und es erschien ihm ganz natürlich, dass er den anderen förmlich abgeschlachtet hatte. Er war sich nicht darüber im klaren, ob er ein Verbrecher oder das Opfer eines Verbrechens war; er machte sich darüber Sorgen, aber nicht sehr intensiv. Meistens saß er ganz oben in der entferntesten Ecke des Raums und beobachtete, was um ihn herum geschah. Ärzte und Krankenschwestern machten sich ständig flüsternd an ihm zu schaffen; dann sprachen die Ärzte leise mit zwei Männern in Strassenanzügen und mit sterilen Masken vor den Gesichtern, die an der Tür saßen, und diese Männer öffneten die Tür, um ihren im Korridor wartenden Kollegen etwas zuzuraunen.
    Einmal kam eine ganze Gruppe von Besuchern, in deren Mitte er den Generalstaatsanwalt erkannte.
    Die Delegation stand am Fußende seines Bettes und studierte das blasse Gesicht, wie Touristen eine für sie unverständliche Inschrift auf einem ausländischen Denkmal zu entziffern versuchen. Sie schüttelten schließlich die Köpfe, forderten die Ärzte auf, den Patienten am Leben zu erhalten, und verließen das Zimmer. Unbestimmte Zeit später wurde ein Hauptmann der Grenztruppen hereingeführt, um ihn zu identifizieren. Da in diesem Augenblick die aus seinem Körper herausführenden Schläuche verrieten, dass eine innere Blutung eingetreten war, interessierte ihn das wenig.
    Später wurde er ans Bett geschnallt und lag unter einem durchsichtigen Plastikzelt. Die Gurte störten ihn nicht - er hatte ohnehin nicht vor, seine Arme zu gebrauchen -, aber das Zelt hinderte ihn irgendwie daran, wie bisher fortzuschweben. Er ahnte, dass die Ärzte die Morphiumdosen herabsetzten. Tagsüber registrierte er undeutlich, dass sich um ihn herum Farbkleckse bewegten, und nachts hatte er Angstanfälle, wenn die Tür geöffnet wurde, so dass Licht vom Korridor aufs Bett fiel. Diese Angst war wichtig; das spürte er ebenfalls. Von allen Halluzinationen seines Rauschzustands war nur diese Angst real.
    Die Zeit zwischen den Injektionen verstrich endlos langsam. Er fühlte die Ungeduld der Männer an der Tür und draußen im Korridor. Er wusste, dass sie auf ihn warteten.
    »Irina!« sagte er laut.
    Im nächsten Augenblick hörte er, dass Stühle zurückgeschoben wurden, und sah Gestalten auf sein Zelt zukommen. Als Hände die Zeltwände öffnen wollten, schloss er die Augen und presste den linken Arm mit einem Ruck gegen den Haltegurt. Ein Schlauch rutschte heraus und aus der Kanüle floss Blut.
    Eilige Schritte kamen von der Tür.
    »Ich hab euch doch verboten, ihn anzufassen!« sagte eine Krankenschwester aufgebracht. Sie schob die Kanüle in seinen Arm zurück und klebte einen Streifen Heftpflaster darüber.
    »Wir haben ihn überhaupt nicht angefasst.«
    »Unsinn! Wie soll er das geschafft haben? Er ist bewusstlos. Seht euch diese Schweinerei an!«
    Er schloss die Augen und stellte sich das Bett und den Fußboden vor. Die Krankenschwester war nur wütend, aber ein Blutbad in einem Krankenhaus schüchterte sogar KGB-Agenten ein. Er hörte sie auf den Knien den Boden aufwischen. Sie behaupteten nicht mehr, er sei wach gewesen.
    Wo war Irina? Was hatte sie ihnen erzählt?
    »Der wird sowieso erschossen«, murmelte einer der Männer am Boden.
    Er hörte in seinem durchsichtigen Zelt zu; er hatte vor, so lange wie möglich zuzuhören.
    In den Minuten vor dem Eintreffen der Miliz im Universitätspark hatte Arkadi Irina eingebleut, was sie auszusagen habe. Irina hatte nicht geschossen; Arkadi hatte Hofmann und Jamskoi auf dem Gewissen. Irina wusste, dass Valeria, James Kirwill und Kostja in Moskau waren - das bewiesen die Tonbandaufnahmen -, aber sie hatte keine Ahnung, wer oder was außer Landes geschmuggelt werden sollte. Sie war selbst getäuscht worden; sie war ein ahnungsloses Opfer, keine Mittäterin. Das war keine sehr glaubwürdige oder logische Geschichte, aber er konnte zu seiner Entschuldigung anführen, dass er sie sich ausgedacht hatte, während Irina seinen Magen zugehalten hatte. Außerdem war diese Darstellung ihre einzige Chance.
    Das erste Verhör begann damit, dass sie ihm die Straftaten vorlasen, die ihm zur Last

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