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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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interbehördliche Zusammenarbeit betrachtete seinen Kollegen und ehemaligen Schüler mit prüfend zusammengekniffenen Augen und einem enttäuschten Seufzer.
    »Letztes mal hast du mich mit einer Pistole bedroht«, stellte Nikitin fest. »Das ist vor fast vier Wochen gewesen. Inzwischen siehst du etwas ruhiger aus.«
    »Ich weiß nicht, wie ich aussehe. Ich habe keinen Spiegel.«
    »Wie rasierst du dich dann?«
    »Sie bringen mir mit dem Frühstück einen Elektrorasierer und nehmen ihn beim Abräumen wieder mit.«
    Da er endlich mit einem Besucher reden durfte - auch wenn es nur Nikitin war -, fühlte er sich ungewöhnlich gesprächig.
    Und vor vielen Jahren, als Nikitin als Chefinspektor die Mordkommission geleitet hatte, waren sie gute Freunde gewesen.
    »Tut mir leid, aber ich kann nicht lange bleiben.« Nikitin zog einen Briefumschlag aus der Jacke. »Bei uns geht’s drunter und drüber, wie du dir sicher vorstellen kannst. Ich bin hergeschickt worden, um dich das hier unterschreiben zu lassen.«
    Der Umschlag enthielt ein Rücktrittsgesuch - aus Gesundheitsgründen - in dreifacher Ausfertigung. Arkadi unterschrieb und war beinahe traurig, dass Nikitin schon wieder gehen musste.
    »Ich habe den Eindruck«, flüsterte Nikitin, »dass du ihnen schwer zu schaffen machst. Es ist nicht leicht, einen Vernehmungsbeamten zu vernehmen, was?«
    »Wahrscheinlich nicht.«
    »Hör zu, du bist ein kluger Junge, du brauchst dein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Aber du hättest manchmal mehr auf Onkel Ilja hören sollen. Ich hab versucht, dich in die richtige Richtung zu steuern. Das Ganze ist meine Schuld; ich hätte konsequenter sein müssen. Kann ich dir irgendeinen Gefallen tun? Du brauchst es nur zu sagen.«
    Arkadi setzte sich aufs Bett. Er fühlte sich unendlich deprimiert und müde und war Nikitin dankbar, dass er seine Zeit für diesen Besuch opferte. Nikitin saß jetzt neben ihm auf der Bettkante, obwohl Arkadi nicht wusste, wie er dorthin gekommen war.
    »Du brauchst nur etwas zu sagen«, suggerierte Nikitin ihm.
    »Irina …«
    »Was ist mit ihr?«
    Arkadi fiel es schwer, sich zu konzentrieren. Alle Geheimnisse, die er bisher in seinem Herzen bewahrt hatte, schienen darauf zu drängen, bei Nikitin mitfühlendes Gehör zu finden. Arkadis einzige andere Besucherin an diesem Tag war eine Krankenschwester gewesen, die ihm unmittelbar vor Nikitins Eintreffen eine Spritze gegeben hatte.
    »Ich bin der einzige, der dir helfen kann«, behauptete Nikitin.
    »Sie wissen nicht … «
    »Ja?«
    Arkadi fühlte sich schwindlig und kämpfte gegen einen Brechreiz an. Nikitins kleine, pummelige Hand lag auf seiner.
    »Du brauchst jetzt einen Freund«, stellte Nikitin fest.
    »Die Krankenschwester … «
    »Die steht nicht auf deiner Seite. Sie hat dir irgendwas gegeben, damit du gesprächig wirst.«
    »Ja, ich weiß.«
    »Erzähl ihnen nichts, Bojtschik!« forderte Nikitin ihn auf.
    Arkadi tippte auf Natriumaminat; das war das übliche Mittel.
    »Und nicht zu knapp!«
    Er weiß, was ich meine, sagte Arkadi sich.
    »Das ist ein sehr starkes Betäubungsmittel. Niemand kann dir Vorwürfe machen, wenn du dich nicht mehr als sonst in der Gewalt hast«, versicherte Nikitin ihm.
    »Du hättest die Rücktrittsgesuche nicht mitzubringen brauchen.« Arkadi bemühte sich, laut und deutlich zu sprechen. »Kein Mensch braucht diese Schreiben.«
    »Dann hast du sie nicht richtig gelesen.« Nikitin zog den Umschlag erneut aus der Jacke und öffnete ihn. »Hier.«
    Arkadi blinzelte ungläubig, als er den mit der Maschine geschriebenen Text las. Das Schreiben war ein umfassendes Geständnis! »Das hab ich nie unterschrieben«, wehrte er ab.
    »Hier steht deine Unterschrift. Ich kann bezeugen, dass du sie eigenhändig geleistet hast. Aber das tut nichts zur Sache.« Nikitin zerriss die Blätter in Hälften und danach in Viertel. »Ich glaube sowieso kein Wort davon.«
    »Danke«, sagte Arkadi gerührt.
    »Ich stehe auf deiner Seite; wir kämpfen gemeinsam gegen die anderen. Weißt du noch, dass ich der beste Vernehmungsbeamte gewesen bin? Erinnerst du dich daran?«
    Arkadi nickte wortlos. Nikitin beugte sich vertraulich zu ihm hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich bin gekommen, um dich zu warnen. Sie wollen dich umbringen.«
    Arkadi starrte die geschlossene Tür an. Ihre glatte Oberfläche erschien ihm bedrohlich: eine Fassade für die Männer auf der anderen Seite.
    »Wer soll Irina helfen, wenn du tot bist?« fragte Nikitin. »Wer

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