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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Schatten zu gewöhnen.
    »Wie ich höre, ist heute Ihr letzter Tag.« Pribluda grinste hämisch. »Die letzte Vernehmung, die letzte Nacht. Ich erledige Sie, wenn Sie schlafen.«
    Arkadi schloss die Augen und hörte den Insekten zu. Jede Woche wurde es ein bisschen heißer und die Insekten ein bisschen lauter.
    »Möchten Sie hier begraben werden?« erkundigte Pribluda sich. »Los, kommen Sie endlich mit!«
    »Warum gehen Sie nicht einfach in Ihren Garten?« Arkadi behielt die Augen geschlossen und hoffte, dass der Major allein weitergehen würde.
    »Sie müssen mich wirklich hassen«, sagte Pribluda nach einer Pause.
    »Dafür habe ich keine Zeit.«
    »Sie haben keine Zeit dafür? Sie haben doch nichts als Zeit!«
    »Wenn ich wach und nicht so benommen bin, wenn ich klar denken kann, ist mir die Zeit zu schade, um über Sie nachzudenken.«
    »Sie sollten aber über mich nachdenken, denn ich werde Sie erschießen.«
    »Regen Sie sich nicht auf, das tun Sie nicht.«
    »Ich rege mich nicht auf!« widersprach Pribluda empört.
    Er hatte sich besser in der Gewalt, als er hinzufügte: »Darauf freue ich mich schon seit einem Jahr. Sie sind verrückt, Renko! Sie vergessen, wer hier das Sagen hat!«
    Arkadi schwieg. Über sich hörte er das ängstlichtriumphierende Geschrei eines ganzen Schwarms kleiner Vögel, die eine Krähe vertrieben. Aus der Tatsache, dass das Haus regelmäßig von Kurzstreckenflugzeugen des Typs An 24 in Richtung Süden überflogen wurde, hatte er längst geschlossen, dass er sich etwa eine Stunde im Umkreis des am Moskauer Stadtrand liegenden Flughafens Domodedowo befinden musste. Da die Psychiater, die ihn verhörten, alle aus der Serbski-Klinik des KGB in Moskau kamen, nahm er an, Irina werde dort festgehalten. »Gut, worüber denken Sie sonst nach?« fragte Pribluda dann. »Ich denke, dass ich früher nie gewusst habe, wie man denkt. Ich habe das Gefühl, als ob ich’s erfinde, während ich’s tue. Das ist mein persönlicher Eindruck.
    Jedenfalls habe ich zum erstenmal nicht mehr das Gefühl, von außen gesteuert zu werden.« Er öffnete die Augen und grinste. »Sie sind verrückt!« sagte Pribluda ernsthaft. Arkadi stand auf und reckte sich.
    »Wollen Sie zu Ihrer Gartenarbeit zurück, Major?«
    »Das wissen Sie doch!«
    »Sagen Sie, dass Sie menschlich sind.«
    »Was?«
    »Wir kehren um«, versprach Arkadi ihm. »Sie brauchen bloß zu sagen, dass Sie menschlich sind.«
    »Ich brauche überhaupt nichts zu tun! Was für ein Spiel ist das? Sie sind übergeschnappt, Renko; Sie widern mich an!«
    »Ist es wirklich so schwer für Sie zuzugeben, dass Sie menschlich sind?«
    Pribluda setzte sich in Bewegung und stapfte im Kreis herum.
    »Sie wissen doch, dass ich es bin.«
    »Sagen Sie es!«
    »Dafür bringe ich Sie um - allein dafür«, drohte der Major. »Aber damit ich’s hinter mir habe: Ich bin menschlich.«
    »Ausgezeichnet!« Arkadi stand auf. »Jetzt können wir zurückgehen.«
    Der neue Vernehmungsoffizier war ein Moskauer Psychiater, der seine Worte mit nervösen Handbewegungen unterstrich.
    »Ich will Ihnen sagen, wie ich den Fall sehe«, erklärte er Arkadi nach Abschluss seiner Vernehmung.
    »Auf jede wahre Aussage, die wir von Ihnen und der Asanowa gehört haben, kommt eine Lüge.
    Keiner von Ihnen hat direkt zur Jamskoi-Osborne-Clique gehört, aber Sie haben beide indirekt mit ihr zu tun gehabt und haben weiterhin starke Bindungen zueinander. Wegen Ihrer langen Erfahrung als Vernehmungsbeamter und wegen Irinas langjährigen Erfahrungen als Verdächtige hoffen Sie beide, uns verwirren und zum Aufgeben zwingen zu können. Diese Hoffnung ist irreal. Alle Verbrecher hegen irreale Erwartungen.
    Sie und die Asanowa leiden unter dem Pathoheterodoxie-Syndrom.
    Sie überschätzen Ihre persönlichen Fähigkeiten. Sie fühlen sich von der Gesellschaft isoliert. Sie schwanken zwischen Euphorie und Depression. Sie misstrauen Menschen, die Ihnen helfen wollen. Sie sind gegen Autorität, auch wenn Sie sie selbst vertreten. Sie bilden sich ein, für Sie gebe es eine Ausnahme von jeder Regel. Sie unterschätzen die kollektive Intelligenz. Unrecht erscheint Ihnen wie Recht - und umgekehrt.
    Die Asanowa stellt einen eindeutigen, geradezu klassischen Fall dar, der leicht zu verstehen und deshalb auch leicht abzuhandeln ist. Ihrer ist viel komplizierter und gefährlicher. Sie sind mit einem großen Namen und beträchtlichen Vorteilen auf die Welt gekommen. Obwohl Sie schon früh verdächtigt wurden, ein

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