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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
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Sie, aber die Pensionen sind ein Witz! Ich tue ihnen einen Gefallen, wenn ich ihnen zwanzig Rubel für eine Ikone gebe, die seit fünfzig Jahren nur noch Staub angesetzt hat. Die alten Frauen würden vielleicht lieber verhungern, als sich von ihren Ikonen zu trennen, aber mit den Männern kann man reden. Dann fahre ich nach Moskau zurück und verkaufe die Sachen.«
    »Wie?« fragte Arkadi.
    »Ein paar Taxifahrer und Intourist-Führer empfehlen mich. Aber ich gehe oft selbst auf die Strasse. Ich erkenne potentielle Kunden auf den ersten Blick - vor allem Schweden oder Amerikaner aus Kalifornien. Ich spreche Englisch, das ist meine Stärke. Amerikaner zahlen fast jeden Preis. Fünfzig für eine Ikone, die Sie nicht mal aus dem Rinnstein aufheben und von der Sie nicht wissen würden, ob Sie die Vorder- oder Rückseite vor sich haben. Und tausend für eine große, schöne Ikone. Natürlich Dollar, nicht Rubel. Dollar oder Touristenkupons, die kaum schlechter sind. Wie viel zahlen Sie für eine Flasche wirklich erstklassigen Wodka? Dreizehn Rubel? Mit Touristenkupons bekomme ich die gleiche Flasche für drei Rubel. Nehmen wir einmal an, ich möchte, dass mir jemand meinen Fernseher repariert, einen Kotflügel ausbeult oder sonst einen Gefallen tut. Biete ich ihm dann ernstlich Rubel an? Rubel sind was für die Dummen. Wenn ich einem Mechaniker ein paar Flaschen Wodka schenke, habe ich einen Freund fürs Leben gewonnen. Rubel sind Papier, verstehen Sie, und Wodka ist Bargeld.«
    »Soll das etwa ein Bestechungsversuch sein?« erkundigte Pascha sich indigniert.
    »Nein, nein, ich wollte nur darauf hinweisen, dass die Ausländer, denen ich Ikonen verkaufe, Schmuggler sind, und dass ich durch meine Tätigkeit dazu beigetragen habe, sie zu fassen.«
    »Sie verkaufen auch an russische Bürger«, stellte Arkadi fest.
    »Nur an Dissidenten!« protestierte Golodkin.
    In dem Bericht Jakutskis, des Kriminalbeamten in Ust-Kut, hieß es weiterhin, während der im Jahre 1949 durchgeführten Kampagne gegen jüdische »Kosmopoliten« sei der Rabbi Solomon Dawidow, ein Witwer, aus Minsk nach Irkutsk umgesiedelt worden. Dawidows einziges Kind, Valeria Dawidowa, hatte ihr Kunststudium nach dem Tod ihres Vaters abgebrochen und eine Stelle als Sortiererin im Pelzzentrum Irkutsk angenommen. Dem Bericht lagen zwei Fotos bei. Eines zeigte ein Mädchen mit Pelzmütze, dicker Strickjacke, Wollrock und Filzstiefeln. Sehr jung, sehr fröhlich. Das zweite stammte aus der Zeitung Krasnoje Snamja. Der Bildtext lautete: »Auf der Internationalen Rauchwarenmesse hält die hübsche Sortiererin Dawidowa das 1000 Rubel teure Fell eines Barguschinski-Zobels hoch, damit Einkäufer es bewundern können.« Sie war trotz ihrer wenig vorteilhaften Arbeitskleidung tatsächlich sehr hübsch, und in der ersten Reihe der den Zobelpelz bewundernden Einkäufer stand Mr. John Osborne.
    Arkadi studierte nochmals das Foto mit Kostja Borodin. Er stellte fest, dass die Gruppe aus etwa 20 Russen und Jakuten bestand, die eine kleinere Zahl westlicher und japanischer Geschäftsleute begleitete. Diesmal machte er Osborne auf dem Zeitungsfoto ausfindig.
    Unterdessen erläuterte Golodkin ausführlich, wie bestimmte Georgier den Gebrauchtwagenmarkt unter ihre Kontrolle gebracht hatten.
    »Durstig?« fragte Arkadi Pascha.
    »Von seinen vielen Lügen«, antwortete Pascha.
    Die Fenster waren beschlagen. Golodkin beobachtete die beiden Kriminalbeamten unsicher.
    »Komm, wir gehen zum Mittagessen.« Arkadi klemmte sich die Unterlagen und das Tonband unter den Arm, bevor er mit Pascha zur Tür ging. »Was ist mit mir?« fragte Golodkin.
    »Sie wissen doch, dass es keinen Zweck hätte, jetzt zu verschwinden?« sagte Arkadi. »Wo würden Sie sich außerdem verstecken wollen?«
    Sie ließen ihn sitzen. Eine halbe Minute später öffnete Arkadi die Bürotür und warf Golodkin eine Flasche Wodka zu. Der Georgier fing sie überrascht auf.
    »Konzentrieren Sie sich auf die Morde, Feodor«, riet Arkadi ihm und schloss die Tür, bevor der sichtlich Verwirrte etwas sagen konnte.
     
    Regen hatte die letzten Schneereste aufgetaut. Auf der gegenüberliegenden Strassenseite standen Männer vor einem Kiosk nach Bier Schlange - »ein untrügliches Frühlingsanzeichen«, wie Pascha behauptete -, deshalb kauften Arkadi und er sich belegte Brote von einem Karren, bevor sie sich ebenfalls anstellten. Hinter der beschlagenen Fensterscheibe des Vernehmungsraums erkannten sie Golodkin, der sie

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