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Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Gotland: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Gotland: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Östlundh
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langsam herum. Der Wein strömte ins Gras.
    »Was machst du denn da?« Ricky streckte die Arme nach ihr aus, aber sie wirbelte herum und ließ sich nicht davon abhalten, die dunkelrote Flüssigkeit zu verschütten.
    »Hör auf, Elin!«
    »Wieso? Bist du etwa ein Alki?«, krächzte sie. Das war gar nicht mehr ihre Stimme.
    Ricky machte zwei große Schritte auf sie zu, packte sie und hielt sie fest. Er schlang seine Arme um sie, endlich nahm er sie in die Arme.
    Die Weinbox landete mit einem lautlosen Plumpsen auf der Erde, vom Wein war kaum noch etwas übrig.
    »Sie ist tot. Tot!«
    Sie schrie es hinaus. Dann wurde ihr ganzer Körper von laut schluchzendem Weinen geschüttelt. Sie wurde ganz schlaff in seinen Armen. Ricky musste sie festhalten, damit sie nicht fiel.
    »Er war es. Er muss es gewesen sein«, presste sie hervor. Ricky schüttelte den Kopf.
    »Versuch jetzt, wieder aufzustehen. Alles wird wieder gut. Irgendwie wird alles wieder gut.«
    »Aber er war es doch. Sag wenigstens, dass du das auch glaubst.«
    Die Worte kamen stoßweise zwischen Tränen und Luftschnappern heraus.
    »Elin«, flüsterte Ricky.
    »Er war es. Papa hat sie umgebracht. Wer denn sonst?«
    »Nein, nein, nein. Hör jetzt auf, Elin. So ist es nicht. Komm, steh auf!«
    »Er war’s.«
    »Nein, Elin.«
    Sie konnte an nichts anderes denken. Er hatte es getan. Dieses verfluchte alte Arschloch hatte ihre geliebte Mutter umgebracht. Die sie allein auf Gotland zurückgelassen hatte.
    »Mach schon! Steh auf!«
    Ihr Körper wurde noch immer von Schluchzern geschüttelt, aber sie gab sich Mühe.
    »Wir gehen jetzt rein.«
    Er half ihr Schritt für Schritt zur Tür. Der Weinkarton und ihre schwarze Prada-Tasche blieben im rotweingetränkten Gras liegen.
    Der dunkelgrüne Kachelofen bullerte leise und zärtlich. Eingewickelt in eine Wolldecke, kauerte Elin auf dem Sofa, vor ihr auf dem Tisch stand eine unberührte Teetasse. Draußen vor dem Fenster senkte sich eine kalte, blaue Oktoberdämmerung herab.
    Ricky kam aus der Küche und ließ sich wortlos neben sie sinken. Sie war überrascht, dass er so fürsorglich sein konnte. Diese Seite an ihm erschien ihr nicht vollkommen fremd, aber doch ungewohnt.
    Eigentlich wäre alles – das Feuer, die Decke, der Tee – gar nicht nötig gewesen, aber es tat ihr gut. Sie konnte sich daran festhalten. Sie hätte ewig so in ihrem Wolldeckenkokon sitzen und schweigend dem knisternden Feuer lauschen können, während ihre Gedanken sich wie wild im Kreis drehten. Sie wollte sich nicht bewegen, nicht sprechen, nicht essen – nur zusammengekauert dort sitzen, schlafen, wieder aufwachen und sehen, wie sich das Licht verändert hatte.
    »Die Polizei will nachher mit dir reden. Irgendwann. Sie haben eine Telefonnummer hiergelassen.«
    Sie schloss die Augen.
    Wäre dies ein normaler Besuch zu Hause, wären sie zuerst beim Gut vorbeigefahren. Sie hätte das Gepäck in ihrem alten Kinderzimmer abgestellt und vielleicht eine Kleinigkeit mit ihrer Mutter gegessen. Dann wäre sie zu Ricky gefahren, und sie hätten vor dem Abendessen noch einen Drink oder ein bis zwei Gläser Wein getrunken und wären zur vereinbarten Zeit mit ein paar Promille im Blut den kurzen Weg zurückgefahren. Wenn es nicht zu spät geworden wäre, hätte sie noch eine alte Freundin getroffen. Ricky nicht. Der feierte nicht mehr so wie früher, sondern war ein Stubenhocker geworden.
    Nichts davon würde diesmal geschehen. Vielleicht würde sie nicht einmal einen Fuß auf das Grundstück setzen.
    »Weißt du, wo sie ist? Ist sie noch im Haus, oder haben sie …?«
    Er drehte den Kopf in ihre Richtung. Sie sah ihm an, dass er auch darüber nachgedacht hatte. Mama. Wo war sie jetzt?
    »Ich weiß es nicht«, sagte er.
    Sie streckte eine Hand nach der Teetasse aus, hatte aber keine Kraft, sie zu erreichen. Ricky beugte sich nach vorn und schob ihr die Tasse zu. Sie trank ein paar Schlucke. Ihr Mund war ganz trocken.
    »Ein seltsamer Gedanke«, sagte sie.
    »Ja«, murmelte er.
    »Dass sie irgendwo liegt.«
    Zwischen den Sätzen musste sie lange Pausen machen, aber sie wollte darüber reden.
    »Zu Hause auf dem Fußboden, mit einer Kreidelinie drum herum.«
    »Ich glaube nicht, dass …«
    »Oder in einem Kühlschrank in Visby. Vielleicht fährt sie in einem Krankenwagen durch die Gegend.«
    »Elin.«
    Bald würde er zu ihr sagen, sie solle aufhören. Vorerst würde sie keinen Anfall mehr bekommen.
    »Dürfen die sie einfach irgendwo hinbringen? Ohne unsere

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