Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
Bassist - arbeitet ebenfalls nachts und schläft tagsüber in Jesus’ Bett. Die Bude hat natürlich keine Klimaanlage. Jesus öffnet den kleinen Kühlschrank in der Ecke, genießt den kaum wahrnehmbaren kühlen Lufthauch und nimmt den McDonald’s-Becher heraus, den er vor dem Zubettgehen mit Leitungswasser gefüllt hat. Er gönnt sich einen kleinen Schluck und stellt den Becher dann wieder zurück. Morgan wird durstig sein, wenn er aufwacht. Jesus öffnet die Vorhänge einen winzigen Spalt. Von ihrem Zimmer blickt man geradewegs auf die Feuertreppe eines nur wenige Meter entfernten Hauses, aber wenn man den Kopf in den Nacken legt, kann man einen Streifen blauen Himmels zwischen den beiden Gebäuden erkennen.
Er zieht sich eilig an. Shorts, Sneakers – keine Socken — und ein altes, verwaschenes T-Shirt mit der Aufschrift TRUCKERS DO IT BETTER. So ein Typ hatte es ihm in New Orleans nach einem Auftritt geschenkt. Bevor er das Apartment verlässt, durchsucht Jesus seine Taschen und findet zwei Ein-Dollar-Scheine sowie achtzig Cent in Münzen - mehr als erwartet. Er legt die Scheine für die beiden Jungs auf das Nachttischchen und huscht durch die Tür.
Aus der verhältnismäßigen Kühle des Hauses tritt er hinaus auf die schmale Gasse zum Broadway. Dort sind erst wenige Geschäfte geöffnet, und der Verkehr beschränkt sich auf ein paar Lieferwagen und vereinzelte Taxis, die nach Downtown unterwegs sind.
In früheren Zeiten hätte es ihn zum Washington Square Park gezogen oder noch weiter nach Süden, zur Wall Street, um sich dort auf eine Kiste zu stellen und zu den Leuten zu sprechen, sie zum Zuhören zu bewegen. Das hat er längst
aufgegeben. An einer Straßenecke Reden schwingen, war Anfang des 21. Jahrhunderts hier im Westen keine brauchbare Masche mehr. Auch das hatten die Christen versaut. Aber nicht nur die Christen: Hier in New York hatte offensichtlich jeder etwas mitzuteilen, verspürte den unwiderstehlichen Drang, seine durchgeknallte persönliche Einschätzung irgendwelcher Ereignisse öffentlich kundzutun. Die Prügel, die er dafür hin und wieder bezog, hatte Jesus damals genauso klaglos weggesteckt wie die Nächte in der Zelle, wenn die Bullen mal wieder gelangweilt waren und versuchten, ihre Verhaftungsstatistik mit ein paar Obdachlosen und Bettlern aufzubessern. Was er allerdings nicht so einfach wegsteckte, waren die Situationen, in denen die Leute ihn für einen Christen hielten.
Eilig überquert er den Broadway. Es gilt, die wöchentlichen Einkäufe zu erledigen. Denn es gibt Mäuler zu stopfen.
Im Supermarkt dann endlich Linderung: Zumindest die Ware wird hier mit kühler Luft verwöhnt. Jesus füllt am Spender einen Becher mit Wasser und schlendert dann - wie immer — mit großen Augen die Gänge entlang. Oh Mann, Amerika, deine Supermarktregale: grüne Bohnen aus Kenia, Sternfrüchte aus Papua-Neuguinea, schimmernde Lachsfilets aus den Flüssen der schottischen Highlands und der kanadischen Berge, Tomaten und Basilikum aus der Toskana, spanische Oliven und südafrikanische Orangen. Aber so gut wie nichts von den zahlreichen Farmen in der näheren Umgebung von New York. Noch so etwas: Es ist Hochsommer, und dennoch sind die Gemüseregale voll mit gelben Rüben, Pastinaken, Blumenkohl, Sprossen und Kürbissen. Nicht zum ersten Mal sinniert Jesus darüber, welche Kosten es verursacht und welches Leid es bereitet, die Jahreszeiten um des schnöden Mammons willen in den Arsch zu ficken. Darüber, wie viel Methode dieser Wahnsinn hat, mit dem man hier unten Geschäfte betreibt.
Der wahre Irrsinn dieser Menschen offenbart sich allerdings nicht in den Regalen, sondern in ihren Einkaufswagen und Gesichtern. Oh Mann, Amerika, deine Supermarktkunden: Jesus beobachtet sie, während er sich an eine Kühltruhe mit vierzehn verschiedenen Sorten Tiefkühlpommes lehnt und sich von der aufsteigenden Kälte den Hintern kühlen lässt. Hier in diesem Laden, in einer der weniger wohlhabenden Gegenden Manhattans, blickt man wochentags während der gängigen Bürozeiten in die Gesichter und Einkaufswagen von Hausfrauen und Müttern, von Arbeitslosen und solchen Leuten, die schlichtweg fresssüchtig sind. Die unter der Last aus frischen Früchten und Gemüse durchhängenden Regale ignorierend, drängeln sie an Jesus vorbei und steuern zielstrebig die Gänge mit der Tiefkühlkost an. Dort beladen sie ihre Wagen mit Pizza. Mit Mikrowellengerichten, diversen Varianten von Pommes frites, Kartoffelkroketten,
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