Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
sind wirklich hungrig. Ihr Konzern hat im letzten Jahr einen Profit von - wie viel? - nun, jedenfalls mehreren Milliarden Dollar gemacht, richtig? Was spielt es da für eine Rolle, wenn Sie uns ein paar Reste überlassen? Vergessen Sie einfach mal die Vorschriften. Sie haben jetzt und hier die Chance, die Welt zum Besseren zu wenden. Etwas Gutes zu tun. Einfach, Sie wissen schon, nett zu sein. Jetzt kommt schon, Leute«, Jesus blickt die drei Supermarktangestellten auffordernd an, »seid lieb.«
Der Manager erwidert Jesus’ Blick, sieht ihm in die blauen Augen, die im Morgenlicht aufleuchten, während er da auf dem asphaltierten Parkplatz steht, und fragt sich, wo dieser Typ seine Dreistigkeit hernimmt. »Ja klar ... seid lieb «, äfft er Jesus nach, »weißt du was? Ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken. Verpisst euch von hier, bevor ich die Bullen rufe.« Er dreht sich um und geht zurück Richtung Laderampe.
Jesus schluckt, um seine aufkeimende Wut zu unterdrücken. Die Leute, insbesondere solche Leute wie dieser unverbesserliche Bilderbuchrepublikaner hier, unterstellen gerne mal, dass Liberalismus der Weg des geringsten Widerstands sei. Dass SEI LIEB eine feige und passive Haltung ist. Oh Mann , denkt Jesus, wie falsch kann man eigentlich liegen? An Tagen wie diesen verlangte es jedes Quäntchen Kraft und Disziplin, das er besaß, um jene zu lieben, die selbst nur Hass verbreiteten. Es verlangte seine gesamte Selbstkontrolle, nicht einfach - außer sich vor gerechtem Zorn - um sich zu treten und Amok zu laufen. Etwa, wenn er gelegentlich mitbekam, was da drüben im Nahen Osten so abging, mit diesen
Fundamentalistentypen. Diese Typen, Mann, was wollten die eigentlich? Worum ging es denen? Und was machten die überhaupt den lieben langen Tag? Wo waren ihre fundamentalistischen Bücher, ihre Musik, ihre Kunst? Wo war der ganze Scheiß hin? Wenn er Fotos von Mädchen sah, denen ein Loch mitten im Gesicht klaffte, weil ihnen irgendein Kerl die Nase abgeschnitten hatte, nur dafür, dass sie von zu Hause fortgelaufen waren. Wenn er Frauen sah, denen Hunderte von Peitschenhieben den Rücken verunstaltet hatten, weil sie einen Kerl falsch angesehen hatten. Wenn er Teenager sah, die auf einem öffentlichen Platz aufgeknüpft wurden, weil sie schwul waren, oder diese sogenannten Ehrenmorde ... dann war es ihm schier unmöglich, sich ein weiteres »Denn sie wissen nicht, was sie tun« abzuringen. Gelegentlich kostete es ihn all seine Kraft, Courage und Liebe, sich nicht der Denkweise von Johannes anzuschließen: Sagt Hallo zu meinem kleinen Freund. Bomb diese Wichser zurück in die beschissene Steinzeit, Dad! Spül sie die Toilette runter, und fang von vorne an. Na los, Armageddon, worauf wartest du!
Jesus atmet einmal tief durch und sagt dann leise: »Möge Gott Ihnen vergeben.«
»Was war das grade?«, fragt der Manager und dreht sich herum.
»Ich sagte«, diesmal spricht Jesus laut und deutlich, » möge Gott Ihnen vergeben.«
»Glaubst du etwa, ich hätte nichts Besseres zu tun, als mich von einem Penner wie dir beschimpfen zu lassen?«, pöbelt der Manager und stiefelt wieder auf sie zu.
»Es lag nicht in meiner Absicht, Sie zu beleidigen. Bitte entschuldigen Sie.« Die Hände beschwichtigend ausgestreckt, weicht Jesus zurück.
»Eine Entschuldigung ist ja wohl auch das mindeste«, sagt der Manager. »Und jetzt verpisst du dich von diesem Grundstück, du Arsch. Bevor ich ...« Ohne auszureden, stößt er Jesus zwei Finger in die Brust, worauf dieser zurücktaumelt.
Das bringt das Fass zum Überlaufen.
Bob heult auf, geht mit rudernden Armen dazwischen und schickt den Manager mit einem kräftigen Kinnhaken erst auf die Knie, dann zu Boden. »Nein, Bob!«, ruft Jesus. Und dann, als plötzlich weitere Angestellte aus dem Laden kommen, von der Laderampe springen und sich auf sie stürzen: »Lauf, Bob!« Auf Bob warten einige offene Haftbefehle.
»Freck.« Bob zöge es offensichtlich vor, zu bleiben und den Kampf aufzunehmen.
»Jetzt komm schon, lauf!«, brüllt Jesus und hechtet zum Zaun. Bob ist vor ihm da und schwingt sich mit Leichtigkeit auf die andere Seite, genau in dem Augenblick, als der erste Hieb Jesus’ Schläfe trifft.
Er knickt zusammen, stürzt, liegt auf dem Boden und spürt, wie die Fäuste und Tritte auf ihn einprasseln. Hört, wie sich in der zunehmenden Hitze des jungen Tages die Sirenen nähern.
2
D ER KÄFIG.
Schon wieder.
Und der Käfig ist brechend voll: Etwa dreißig Kerle
Weitere Kostenlose Bücher